«Wir sind auf gutem Weg, die attraktivste Liga in Europa zu werden»
- buehlerlivia
- 14. Juni
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 20. Juni
Daniela Diaz (42) ist seit Jahren auf einer Mission: das Fraueneishockey in der Schweiz entwickeln und die Chancengleichheit fördern. Unter ihrer Führung hat sich der EV Zug im Eiltempo als treibende Kraft im Fraueneishockey etabliert und die Konkurrenz unter Zugzwang gesetzt.
Reto Kirchhofer im Gespräch mit Daniela Diaz

Treffpunkt Trainerinnenbüro. Neben dem Eingang steht eine Umkleide mit drei Sitzplatzen, am runden Tisch in der Mitte könnte sich ein Kegelclub zum Feierabendbier versammeln, ein blau-weisses Kaleidoskop an Mantras und Visionen überzieht die Wände. Ein solch grossräumiges Buro wünscht sich jeder Trainer eines professionellen Eishockey- Männerteams. Am Tisch sitzt Daniela Diaz, Cheftrainerin der Frauen des EV Zug. Allein ihr Arbeitsort belegt: Die Forderung des Fraueneishockeys ist in Zug kein Lippenbekenntnis.
Daniela Diaz, wir treffen uns zur Mittagszeit: Wie viele Kilometer sind Sie heute bereits gelaufen?Sechs Kilometer (lacht). Mein Ziel ist es, jeden Tag zehn bis zwölf Kilometer zu laufen – respektive zu spazieren. Sie haben im EVZ-Podcast erzählt, dass Sie jeden Tag nach dem Aufstehen meditieren, sich am Morgen, Mittag und Abend rund eine Stunde Zeit für einen Spaziergang nehmen. Was geben Ihnen diese Momente? Sie sind extrem wichtig für mein Wohlbefinden. Es sind schnelllebige Zeiten, ich ube zwei Jobs aus – beim EVZ und in einem Treuhandbüro –, die mich stark fordern. Umso wichtiger ist es, zu entschleunigen, sich Zeit zu nehmen, Erlebtes zu verarbeiten und Gedanken zu ordnen. Ich brauche diese Momente, damit ich mich nicht verliere. Ab und zu höre ich Podcasts aus unterschiedlichsten Bereichen, um auch geistig in Bewegung zu bleiben. Zudem sind die Spaziergänge wichtig für meine Gesundheit, weil ich nicht mehr Sport treiben kann.
Sie mussten sich zwei schweren Operationen am Rücken unterziehen. Bei den Eingriffen gab es Komplikationen, Sie erlitten eine Lungenembolie, später lösten sich zwei Schrauben im Rücken. Was macht das mit jemandem…
… der mit 200 Stundenkilometern auf der Überholspur unterwegs war? (lacht)
Im übertragenen Sinn, ja.
Es führte zu einer Ruckbesinnung auf das, was im Leben zahlt: gesund sein. Ich bin seit Jahrzehnten von der Mission getrieben, das Fraueneishockey in der Schweiz zu entwickeln. Aber mittlerweile weiss ich: Ich muss im Mittelpunkt meines Handelns stehen. Das Leben ist endlich, wir müssen dankbar sein, wenn wir am Morgen aufwachen und noch da sind. Das klingt banal, ist aber so. Diese Relation hatte ich verloren.
Sie waren als erste Person bei Swiss Ice Hockey im Vollpensum für das Fraueneishockey tätig. Zwischen den Eingriffen am Rücken haben Sie Ende 2021 gekündigt. Hatte die Kündigung mit Ihrer Gesundheit zu tun, oder war Ihre Mission, das Fraueneishockey zu entwickeln, beim Verband eine Mission impossible? Ich habe vier Saisons lang das A-Nationalteam der Frauen geführt, übernahm danach die Leitung sämtlicher Frauenauswahlen und war konzeptionell tätig. Es war eine spannende, lehrreiche, aber auch sehr herausfordernde Zeit. Ich mochte mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber was ich in Zug erleben darf, hat beim Verband grossen Nachholbedarf: Es geht um das echte Bekenntnis, Fraueneishockey auf allen Ebenen voranzutreiben, für Chancengleichheit einzustehen. Es war ermüdend, in diesem Bereich nicht die gleiche Philosophie zu befolgen.
Sie haben einmal folgende Vision formuliert: «Mädchen und Frauen sollen im Eishockey dieselben Chancen haben wie Jungs und Männer.» Mit Verlaub: Bei den Löhnen dürfte dieses Ziel unerreichbar sein. Wir dürfen uns auch bei den Löhnen in diese Richtung bewegen.
Erinnern Sie sich an Ihr höchstes Salär als Spielerin? (überlegt) Ich habe ein Jahr lang in Toronto gespielt: Die Wohnung wurde zur Verfügung gestellt, zudem erhielt ich umgerechnet rund 1000 Franken pro Monat.
Ihr Bruder Raphael hat ebenfalls in Übersee gespielt und in den Jahren 2012 bis 2014 umgerechnet über drei Millionen Franken verdient. Die Lohnschere zwischen Frauen und Männern, aber selbst innerhalb der Geschlechter geht auch in der Privatwirtschaft sehr weit auseinander. Im Eishockey wird es sicher mehr Zeit benötigen, bis eine Angleichung stattfindet. Mir geht es aber in erster Linie um etwas anderes.
Erzählen Sie. Im Zentrum steht, den Mädchen die Möglichkeit zu bieten, ins Eishockey einzusteigen – so, wie das Jungs tun können. Das muss die Basis sein. Dann geht es darum, den Mädchen eine Perspektive aufzeigen zu können. Vor zwei Jahren erhielt kaum eine Spielerin unseres EVZ-Frauenteams einen Lohnausgleich, die Trainings fanden am Abend nach der Arbeit statt, die Work-Life-Sports-Balance war nicht im Gleichgewicht. Entsprechend haben einige Spielerinnen mit dem Gedanken gespielt, aufzuhören – sie sind aber noch immer bei uns. Mittlerweile können wir den Spielerinnen ermöglichen, als semiprofessionelle Athletinnen Eishockey zu betreiben; sie erhalten einen Lohn, die Trainings finden am Nachmittag statt, die Abende sind frei, was der Erholung und ihrer Freizeit dient. Diese Entwicklung ist toll für den EVZ, aber: Soll der Wert des Fraueneishockeys in der Schweiz gesamthaft steigen, müssen andere Klubs nachziehen.
Sie tragen beim EVZ die Gesamtverantwortung für das «Women and Girls»-Programm. Welches sind die Eckpfeiler? Das semi-professionelle Frauenteam dient als Leuchtturm und soll den Mädchen aufzeigen: Hey, Fraueneishockey hat einen Wert – es lohnt sich, diesen Sport auszuüben. Die Basis bildet die Hockeyschule. Wir hatten letztes und dieses Jahr jeweils rund 50 Anmeldungen. Von den 50 Mädchen, die im Vorjahr die Hockeyschule besucht hatten, sind rund 30 nun einem Nachwuchsteam beigetreten.
Gemäss Reglement sind gemischte Teams bis Stufe U17 erlaubt. Ist es ein Ziel, dereinst genügend Mädchen zu rekrutieren, damit gemischte Teams im Nachwuchs wegfallen? Es ist das Ziel, in den verschiedenen Nachwuchsstufen reine Mädchenteams zu haben. In der Hockeyschule trainieren die Mädchen gemeinsam, ab Stufe U9 gibt es auch gemischte Trainings. Wichtig ist, dass der Athletenweg für Mädchen ebenso offen ist wie für die Buben: Mochte ein Mädchen lieber mit Buben statt mit Mädchen trainieren, soll das weiterhin möglich sein.
Träume und Vorbilder sind für junge Sportlerinnen und Sportler sehr wichtig: Mittlerweile gibt es in Zug, Bern, Davos, Ambri, Zürich und Fribourg ambitionierte Frauenteams, die PostFinance Women’s League ist kompetitiver als vor einigen Jahren. Einverstanden? Absolut, diese Entwicklung ist genial. In der höchsten Liga fehlte es jahrelang an Spannung: Es gab Zürich und Lugano, später kam Bomo Thun respektive Bern hinzu. Nun ist die Liga kompetitiv, ausgeglichen, spannend – das sind wesentliche Elemente, um das Produkt PostFinance Women’s League zu verkaufen.
Sehen Sie Zug in der Vorreiterrolle? Als mir unser CEO Patrick Lengwiler Ende 2022 das Konzept vorstellte, las ich Dinge wie: ≪2030 im Schnitt 2000 Zuschauer haben≫. Ich kannte das Frauenhockey in- und auswendig und dachte mir: Gross denken, out of the box, weshalb nicht, aber das erscheint mir unrealistisch. Nun hatten wir im dritten Halbfinalspiel gegen Davos über 4000 Zuschauende. Es ist unglaublich, was wir in Zug in zwei Jahren bewegt haben. Zu Ihrer Frage: Zug hat einige Organisationen aus der Komfortzone gelockt und animiert, mitzuziehen. Auch der Verband muss mitziehen. In den letzten zwei Jahren haben wir im Schweizer Fraueneishockey viel von dem aufgeholt, was jahrelang verschlafen worden war.
Wo steht das Schweizer Fraueneishockey im Frühling 2025? Wir sind auf gutem Weg, die attraktivste Liga in Europa zu werden. Schweden ist uns noch voraus, jungst verfolgten über 8000 Zuschauer den Final zwischen Frölunda und Lulea. Wenn die Klubs ihre Bestrebungen intensivieren und nachhaltig arbeiten, profitiert auch das Nationalteam – und dann sind wir in der Realität bald dort, wo wir zurzeit nur auf dem Papier sind: auf Weltranglistenposition 5.
Gleichstellungsthemen sind ins Bewusstsein gerückt. Haben Sie Respekt davor, dass andere Klubs bald abspringen, weil sich Fraueneishockey schwerlich finanzieren lässt? Unser Frauenteam ist dank vieler Sponsoren und breiter Unterstützung bereits nach zwei Saisons selbsttragend. Wir teilen die Erfahrungen und Erkenntnisse mit anderen Klubs, wollen ihnen aufzeigen, dass Fraueneishockey wirtschaftlich attraktiv sein kann – das ist ein Teil des Konzepts. Mit Gärtchendenken werden wir das Fraueneishockey in der Schweiz nicht nachhaltig verbessern.
Weshalb setzt der EVZ keine Frauenspiele an Spieltagen der Männer an?
Wir wollen mit dem Fraueneishockey ein neues Zielpublikum erreichen, beispielsweise Familien. Die Leute sollen wegen des Interesses am Fraueneishockey ans Spiel kommen und nicht mit der Aussicht, später das Männerteam zu sehen.
Frauen- und Männereishockey ziehen ein unterschiedliches Publikum an, weil es sich um zwei unterschiedliche Sportarten handelt.
Es ist mir wichtig, das so festzuhalten, und ich sehe darin keine Abwertung: Fraueneishockey und Männereishockey sind zwei verschiedene Sportarten. Im Eishockey ist Schnellkraft von grosser Bedeutung, und Frauen sind allein biologisch weit davon entfernt, dieselbe Schnellkraft wie Manner generieren zu können. Ich habe auch schon Ruckmeldungen von Leuten erhalten, die Fraueneishockey bevorzugen.
Wir haben über Spielerinnen, über Klubs, über die PostFinance Women’s League gesprochen: Wie steht es um die Entwicklung der Trainerinnen? Als ich als Trainerin anfing, war ich als Frau häufig allein. Mittlerweile ist die Zahl der Frauen, die im Verband oder in den Klubs wichtige Funktionen einnehmen, stark gestiegen. Das ist aus zweierlei Gründen sehr wichtig: Erstens gibt es ehemaligen Spielerinnen die Möglichkeit, dem Sport erhalten zu bleiben und ihr Know-how einzubringen. Zweitens eröffnet diese Entwicklung jungen Frauen zusätzliche Perspektiven. Ich bin froh, hat sich die abgetretene Bundesrätin Viola Amherd dafür eingesetzt, dass im Sport mehr Führungspositionen durch Frauen besetzt werden. Ich erinnere mich, was im Verband los war, als Frau Amherd ihre Forderungen verkündete – sie waren der Sache aber äusserst dienlich.
Durch den Rücktritt von Viola Amherd und die Wahl von Martin Pfister hat Zug nun einen Bundesrat, allerdings wurde im Gremium das Ungleichgewicht der Geschlechter verstärkt. Beschäftigen Sie sich auch ausserhalb des Sports mit dem Thema Gleichberechtigung? Ich beschäftige mich mit Chancengleichheit, dieser Begriff gefallt mir besser. Ein Mädchen soll dieselben Möglichkeiten haben wie ein Bub und umgekehrt – eine Frau soll dieselben Möglichkeiten haben wie ein Mann und umgekehrt. Egal in welchen Lebensbereichen: Es geht nicht gegeneinander, sondern miteinander.
Reto Kirchhofer bringt auf Schlittschuhen mit Müh und Not einen Hockey-Stop hin. Trotzdem hat das Eishockey sein Berufsleben 15 Jahre lang getaktet – zuerst als Journalist bei Tamedia, später als Kommunikationsleiter beim SC Bern. Nun beschäftigt er sich bei den Parlamentsdiensten mit rhetorischen Bögen (und verbalen Ausrutschern) auf dem Glatteis der Politik
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