Dem Puls auf der Spur: Was unser Herz über Gesundheit und Leistung verrät
- buehlerlivia
- 4. Mai
- 7 Min. Lesezeit
Für Dr. med. Sibylle Matter Brügger ist der Sport eine Herzensangelegenheit. Die Sportärztin spricht über zu hohe und zu tiefe Pulswerte, den perfekten Trainingsaufbau und das ideale Lauftempo auf der ersten Joggingrunde.
Thomas Wälti im Gespräch mit Sibylle Matter Brügger

Frau Matter Brügger, was bedeutet der Puls ganz allgemein?
Mit dem Puls messen wir unseren Herzschlag. Das Herz schlägt bei Erwachsenen in der Ruhephase normalerweise zwischen 60- bis 100-mal pro Minute.
Was verrät der Puls?
Der Puls zeigt an, mit welcher Intensität man unterwegs ist. Körperliche Belastung führt zu einem schnelleren Puls, weil das Herz stärker und häufiger pumpen muss, um die Organe weiterhin mit genügend Sauerstoff zu versorgen. Das kann beim Sporttreiben sein, wenn man aufgeregt oder nervös ist oder in Angstsituationen. Gehen wir es ruhiger an, verlangsamt sich die Herzfrequenz. Seinen niedrigsten Wert erreicht der Puls in der Tiefschlafphase.
Wie wird der Puls gemessen?
Es gibt verschiedene Arten, den Puls zu messen. Viele Sporttreibende messen ihren Puls zur Überwachung der eigenen Fitness und Trainingsbelastung. Dazu verwenden sie einen Pulsgurt. Aber auch Sportuhren und Fitnesstracker erfüllen meistens ihren Zweck für die Herzfrequenzmessung am Handgelenk. Traditionellerweise kann der Puls mit Zeige- und Mittelfinger am Handgelenk beziehungsweise an der Halsschlagader gespürt werden.
Wann spricht man von einem normalen Puls?
Medizinisch gesehen spricht man von einem normalen Puls, wenn das Herz ruhig und regelmässig schlägt – fast wie ein Metronom. Wie bereits erwähnt: Bei Erwachsenen gelten 60 bis 100 Schläge pro Minute als normale Herzfrequenz.
Ab wann ist der Puls zu niedrig beziehungsweise zu hoch?
Erklärtermassen spricht man von einem zu niedrigen Puls, wenn das Herz von Nichtsporttreibenden in der Ruhephase weniger als 60-mal pro Minute schlägt. Regelmässig trainierende Sportlerinnen und Sportler haben oft einen Ruhepuls von deutlich unter 50 Schlägen pro Minute. Dieser sollte jedoch nicht unter 30 Schläge pro Minute fallen. Zu hoch ist ein Ruhepuls, wenn das Herz über 100-mal pro Minute schlägt. Der Puls, der bei grösstmöglicher Anstrengung erreicht werden kann, liegt bei circa 220 Schlägen pro Minute und nimmt im Verlauf des Alters ab. Der ungefähre Maximalpuls lässt sich mit einer einfachen Formel minus Alter. Das bedeutet: Das Herz von gesunden 60 Jahre alten Personen schlagt maximal noch 160-mal pro Minute. Individuell konnen diese Werte deutlich variieren.
Welche Folgen hat ein zu niedriger respektive zu hoher Puls?
Ein zu tiefer Puls führt dazu, dass es zu lange dauert, bis das Herz wieder sauerstoffreiches Blut in die Hauptschlagader pumpt. Die Folge: Unser Gehirn und spater auch der Rest des Körpers werden irgendwann mit zu wenig Sauerstoff versorgt. Ein zu schneller Puls hat eine ähnliche Wirkung. Das Herz beginnt zu flattern oder zu flimmern und kann nicht mehr genug Blut herauspumpen. Im Herz kann es zu einem Blutgerinnsel kommen, das durch die Gefässe ins Gehirn gelangt und dort einen sogenannten Hirninfarkt oder einen Schlaganfall verursacht.
Vorhofflimmern ist eine der häufigsten Herzrhythmusstörungen und führt unbehandelt zu einem höheren Risiko für Hirnschläge. Erachten Sie es von daher als sinnvoll, den Puls regelmässig zu messen, damit ein mögliches Vorhofflimmern bemerkt, diagnostiziert und behandelt werden kann?
(Denkt lange nach) Eine gute Frage. Man muss wissen, wie der Puls richtig gemessen wird. Die Herzfrequenzmessung durch eine Uhr am Handgelenk oder auch durch einen Pulsgurt kann zu fehlerhaften Ergebnissen fuhren. Nicht jeder Herzschlag verursacht eine Pulswelle, die man zum Beispiel am Handgelenk spuren kann. Um nach einer Pulsmessung die richtigen Schlüsse ziehen zu können, sollte man schon geschult sein auf diesem Gebiet. Wenn man jedoch das Gefühl hat, das Herz schlagt unruhig oder deutlich schneller als normal, so macht es Sinn, dies zum Beispiel bei der Hausärztin oder dem Hausarzt kontrollieren zu lassen.
Wie weiss man, ob ein Pulsmessgerät richtig funktioniert?
Dies ist oft schwierig herauszufinden. Wenn man unsicher ist, ob die Messungen stimmen, kann man diese mit einem anderen Gerat nachmessen oder bei der Messung gleichzeitig den Herzschlag an der Brust oder den Puls am Hals beziehungsweise Arm spuren. Bei zertifizierten Blutdruck-Messgeraten wird der Puls auch gemessen. Doch auch bei der Messung am Oberarm wird je nach Situation nicht jeder Herzschlag erfasst.
Gibt es einen Grund, einen tiefen respektive hohen Puls zu haben?
Wer viel trainiert, hat in der Regel einen tieferen Ruhepuls. Wer nicht gut trainiert oder krank ist, hat häufig einen höheren Ruhepuls, weil das Herz schneller arbeiten muss, um ausreichend Sauerstoff an die verschiedenen Organe zu transportieren. Anstrengung fuhrt gewöhnlich zu einem höheren Puls. Das ist völlig normal. Man muss unterscheiden: Warum ist ein Puls tief beziehungsweise hoch – passt er zu den jeweiligen Aktivitäten und zum Zustand dieser Person? Erst dann kann man sagen, ob ein Puls normal, zu tief oder zu hoch ist.
Lässt sich eine zu hohe oder zu niedrige Herzfrequenz mit Medikamenten behandeln?
Ja. Man kann zum Beispiel mit Betablockern den Puls so regulieren, dass er langsamer schlägt. Weniger häufig kommt es vor, dass Medikamente verabreicht werden, die dazu führen, dass der Puls schneller schlagt. Dadurch wird ebenfalls der Blutdruck hoher. Es wird mehr Sauerstoff in das Gehirn und den restlichen Körper transportiert.
Welche Auswirkungen hat die Herzfrequenz auf die Gesundheit?
Massvolles Sporttreiben hat langfristig ohne Frage einen positiven Einfluss auf die Gesundheit. Was den Puls anbelangt: Die Gesamtkonstellation von Aktivität mit höherem Puls und Ruhephasen mit tieferem Puls ist massgebend für körperliches Wohlbefinden.
Was muss sich eine gut trainierte Sportlerin oder ein gut trainierter Sportler unter einem Trainingspuls vorstellen?
Sporttreibende, die es gewohnt sind, mit einem Pulsmessgerät zu trainieren, wissen mit der Zeit genau, in welchem Bereich sich der Puls in Relation zur Trainingsintensität befindet, auch wenn sie mal ohne Pulsmesser unterwegs sind. Sie können die Übungseinheit dank ihrer Erfahrung gezielt steuern. Häufig geschieht dieser Erfahrungsprozess auch umgekehrt. Durch Trainingsvariationen und Leistungstests bekommt die Sportlerin beziehungsweise der Sportler ein Gefühl für die Herzfrequenz, und sie respektive er weiss dann, wo der Maximalpuls liegt und welche Trainingszone welchem Trainingspulsbereich entspricht.
Wie werden die verschiedenen Stufen für die Einschätzung der Ausdauerleistungsfähigkeit bestimmt?
Das wurde früher mittels Conconi-Tests gemacht. Mittlerweile gibt es fortschrittlichere Methoden, um die verschiedenen Trainingsbereiche zu bestimmen. Heutzutage wird die Ausdauerleistungsfähigkeit mittels Laktatstufentests auf dem Laufband, auf dem Rad oder bei einer anderen Ausdauersportart analysiert. Auf Velos mit Wattmessung kann die sogenannte FTP ermittelt werden. Das heisst, man kennt die Leistung in Watt, die man in einer bestimmten Zeit maximal treten kann. Die Messwerte geben Aufschluss über die aktuelle Leistungsfähigkeit in einer bestimmten Intensität und ob sich diese im Verlauf durch das Training verändert hat.
Wie trainiert man richtig bezüglich Herzfrequenz?
Erst muss man definieren, was mit dem Training erreicht werden soll. Dann muss man wissen, welcher Herzfrequenzbereich dazu angemessen ist. Im Allgemeinen ist es so, dass weniger Erfahrene bei Ausdauertrainings eher dazu neigen, mit einem für sich zu hohen Puls zu trainieren. Dieses Mitteltempo ist weniger effektiv als kürzere und intensivere Einheiten, auch führt es nach einigen Trainings zu grösserer Ermüdung als erwünscht. Beim Ausdauertraining sollte sich die Herzfrequenz auch im (eher tiefen) Ausdauerbereich befinden.
Wie findet man heraus, in welchem Bereich man trainieren soll?
Das ist individuell und kommt auf den Formstand an respektive auf das, was man mit der Trainingseinheit trainieren möchte. Das einheitliche Lauftempo gibt es nicht. Für Laufeinsteigerinnen und Laufeinsteiger kann es ratsam sein, vorgängig einen sportärztlichen Check-up zu machen, um ein medizinisches Problem auszuschliessen. Den wenig geübten Läuferinnen und Läufern empfehle ich, mit einem Coach – das kann auch ein Online-Coach sein – zu arbeiten, der einen passenden Trainingsplan erstellen kann. Das muss nicht sein, hilft aber, Fehler zu vermeiden. Denn Fehler können schnell passieren. Newcomer sollten die ersten Joggingrunden gemächlich angehen – in einem Tempo, das ein längeres Gespräch mit dem Laufgspänli ermöglicht. Fallen die Antworten nur noch mit «Ja» oder «Nein» aus, ist man womöglich zu schnell unterwegs. Frühestens nach fünf bis sechs Wochen gewöhnt sich der Körper an das regelmässige Training, und man beginnt, sich auch während der Aktivität wohlzufühlen. Hat man diese eher strenge Zeit überstanden, kann das Training abwechslungsreicher gestaltet und in die Laufrunde zum Beispiel ein paar zügigere Abschnitte eingebaut werden. Aber immer schön auf den Körper achten! Verbessert sich der körperliche Zustand und kann man seine Intensität etwas einschätzen, kann man einen Test zur Ermittlung des Pulses in verschiedenen Intensitätsbereichen machen.
Wie geht man dabei vor?
Man absolviert im erholten Zustand eine Laufeinheit mit gesteigerter Intensität – am besten auf einem Rundkurs mit flachem Gelände. Nach kurzem Einlaufen werden vier Abschnitte à je vieroder fünf Minuten mit jeweils einer Minute Pause dazwischen gelaufen. Der erste Abschnitt im Wohlfühltempo, dann mit zunehmender Belastung bis hin zum schnellstmöglichen Abschnitt.Dabei werden Zeit und Distanz sowie Pulswerte der letzten Minute registriert.Damit können vier Intensitätsbereiche mit dem zugehörigen Pulsbereich auf einfache Weise recht gut bestimmt werden.
Erachten Sie es als sinnvoll, die Übungseinheiten mit einem Pulsmesser auszuwerten?
Das muss nicht unbedingt sein. Man kann die Trainingsintensität auch über das Körpergefühl steuern. Ambitionierte und zielorientierte Läuferinnen und Läufer kennen in der Regel ihren Puls, um entsprechend trainieren zu können.
Welche Rolle spielt das Alter?
Im Allgemeinen sinkt die maximale Herzfrequenz im Alter. Bei 10-Jährigen kann der Puls locker auf über 200 Schläge pro Minute ansteigen, mit 60 Jahren erreichen die meisten Menschen diesen Wert nicht mehr.
Welche Rolle spielt die ausgeübte Sportart?
Ausdauersportarten wie Laufen, Nordic Walking, Schwimmen, Radfahren – das kann auch auf der Rolle sein –, Langlauf und Wandern wirken sich ähnlich auf den Puls aus. Hier gilt: Je kürzer die Distanz, desto höher sind Intensität und Puls. Die Intensität und der Puls bleiben dabei über die gesamte Zeit in einem ähnlichen Bereich. Anders präsentiert sich die Situation bei Spielsportarten wie Fussball, Handball oder Eishockey, wo sich intensive und ruhigere Abschnitte abwechseln. Auch der Puls verändert sich bei den Sportarten entsprechend der Intensität, und es wechseln sich hohe und tiefere Werte ab. Bei Sportarten mit sehr kurzen Einsätzen wie zum Beispiel Turmspringen, Hochsprung oder Skispringen spielt der Puls eine nebensächliche Rolle, da vielmehr Schnellkraft, Technik und Koordination im Vordergrund stehen. Sehr genau müssen Biathleten oder Schützinnen ihren Puls spüren und steuern können, da sie die Schussabgabe mit dem Puls koordinieren müssen.
Wann würden Sie der Freizeitsportlerin oder dem Freizeitsportler Sport empfehlen – oder ist Sporttreiben per se gesund?
Sporttreiben ist per se gesund und hat auf das ganze Herz-Kreislauf-System, auf die Lungen- und Muskelfunktion, die hormonelle Situation im Körper und die Psyche einen positiven Einfluss. Das gilt praktisch für alle Leute. Selbst bei Krebserkrankungen oder beispielsweise nach einem Herzinfarkt bewirkt ein entsprechend angepasstes Training eine Verbesserung des Gesundheitszustandes. Es gibt aber Situationen, in denen körperliche Aktivität vermieden werden sollte. Dies ist etwa bei akuten Infekten, bei einigen Herzerkrankungen oder einer akut entzündlichen Erkrankung der Fall.
Welche Sportart würden Sie einer Anfängerin oder einem Anfänger empfehlen?
Die gewählte Aktivität soll in erster Linie Freude bereiten. Vielleicht macht sie zu zweit oder im Klub mehr Spass. Was ich jeder Sportlerin und jedem Sportler empfehle, ist nebst dem Ausdauer- oder Spieltraining ein regelmässiges Krafttraining, um die Rumpf- und Rückenmuskulatur zu stärken und um Verletzungen am Bewegungsapparat vorzubeugen. Bei einem Neubeginn sollte zudem ein passender Plan für die ersten sechs Wochen durchgezogen werden, bevor ein Fazit für die Fortsetzung gezogen wird. Häufig beginnt es erst dann so richtig Spass zu machen.
Thomas Wälti hat als passionierter Schachspieler am Anfang der Partie einen normalen Puls. Sein Herz beginnt allerdings schneller zu schlagen, wenn er eine Mattkombination entdeckt. Nur: Zuletzt musste der langjährige Journalist seinen Gegnern mehrheitlich zum Sieg gratulieren. Sein Puls wird ebenfalls höher, wenn er in die Berge geht oder seine Höhenangst in einer Luftseilbahn überwindet.
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