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Herzenssache

Nur zwei Wochen nach ihrer Herz-Operation steigt Nadine Fähndrich im März 2024 wieder in die Weltcup-

Loipe. Und wie! Die beste Schweizer Langläuferin der Geschichte wird Fünfte. Im vergangenen Sommer muss die 29-jährige Luzernerin eine schwierige Entscheidung fällen, als Swiss-Ski die Zusammenarbeit mit ihrem Trainer und Förderer Ivan Hudac beendet.


Thomas Wälti über Nadine Fähndrich


Wolf Fotografie/swiss unihockey)
Nadine Fähndrich


Der 28. Februar 2021 ist ein grosser Tag für den Schweizer Sport: Nadine Fähndrich erwartet ihre Kollegin Laurien van der Graaf voller Ungeduld in der Wechselzone. «Ich will endlich aus dem Käfig!», beschreibt die Luzernerin ihre Gefühlslagevor der letzten Ablösung. Die auf Platz fünf liegende Fähndrich geht auf der 1,2 Kilometer langen Runde volles Risiko, überholt drei Athletinnen und beschert Swiss-Ski an den Langlauf-Weltmeisterschaften in Oberstdorf (De) die Silbermedaille im Teamsprint. 34 Jahre nach Evi Kratzer gewinnen die Schweizer Frauen wieder eine WM-Plakette im Langlauf!

 

Obwohl fast vier Jahre seit dem Coup vergangen sind, erinnert sich Fähndrich an ihr bisher bedeutendstes Rennen, als wäre es gestern gewesen. Was war ausschlaggebend für ihren legendären Schlussspurt? «Ich bin zielstrebig, ehrgeizig und jemand, der beharrlich ein Leistungsziel verfolgt. Ich kann sowohl im Training als auch im Wettkampf über mein Limit hinausgehen», charakterisiert sich die gelernte Kauffrau mit Berufsmaturität gleich selbst. Leiden gehöre zu ihren Spezialitäten, verriet sie der «Schweizer Illustrierten Sport».

 

Gedankenkontrolle dank Mentalcoach

Massgeblichen Anteil an der WM-Silbermedaille und an den aktuell fünf Weltcup-Triumphen (vier Siege im Einzel, ein Sieg mit dem Team) hat Mentalcoach Heinz Müller, mit dem Fähndrich seit neun Jahren zusammenarbeitet. «Ich bin eine sehr analytische Person und mache mir viele Gedanken», sagt Fähndrich. Das sei eine Stärke von ihr, andererseits aber auch ihre grösste Schwäche – wenn sie etwa zu lange überlege, wo sie angreifen könnte. Im entscheidenden Moment des Rennens müsse sie instinktiv handeln und flexibel agieren können, meint die 1,69 Meter grosse und 64 Kilogrammschwere Athletin. «Heinz Müller hat mich gelehrt, meine Gedanken besser zu kontrollieren. Inzwischen kann ich mit Selbstzweifeln leichter umgehen.»

 

Zwei Wochen nach Herz-OP mit den Besten konkurriert

184 Weltcuprennen hat Nadine Fähndrich bestritten. An eines wird sie sich ein Leben lang erinnern: Am 12. März2024 erlebt die beste Schweizer Langläuferin der Geschichteeinen besonders emotionalen Augenblick. In Drammen (No)steigt sie in die Loipe und wird Fünfte – nur zwei Wochennach ihrer Herz-Operation! «Es war eine Achterbahnfahrt», beschreibt Fähndrich ihre Gefühle. «Ich war unendlich erleichtert und dankbar, dass ich Klarheit hatte: Ich kann mit den Besten konkurrieren.»


2023 plagte sich Nadine Fähndrich mit gesundheitlichen Problemen herum. Herzrhythmusstörungen führten dazu, dass sich ihr Puls bis auf 280 Schläge pro Minute erhöhte. Die Folge: Herzrasen bis hin zur Hyperventilation. «Nach einemstrengen Intervalltraining und in einigen Wettkämpfen bekam ich fast keine Luft mehr. Ich überschritt meine Laktatschwelle», sagt Fähndrich. Im Februar 2024 trug sie während eines Weltcuprennens in Canmore (Ka) einen Pulsgurt zur Überprüfung der Herzfrequenz. Die Auswertung dieser Daten förderte Fähndrichs Herzprobleme zu Tage. Zurück in der Schweiz machte sie auf dem Laufband mit Rollskis ein Belastungs-EKG. Nach Erfassung dieser Daten entschieden sich Fähndrichs Vertrauensärzte, eine Herz-OP zu initiieren (siehe auch Interview mit Teamarzt Dr. med. Hanspeter Betschart).

 

Extraschläge des Herzes schon als Juniorin

Nadine Fähndrich hatte keine Angst vor der Operation: «Ich fühlte mich bei Hanspeter Betschart und seiner Crew bestens aufgehoben. Die Ärzte sagten mir stets, dass meineKrankheit nicht lebensbedrohlich sei.» Überhaupt: «Extraschläge meines Herzes wurden mittels EKG bereits während meiner Zeit als Juniorin bei Swiss-Ski festgestellt. Sie waren unbedenklich.»


Eine Woche nach der Herz-OP folgt die Erlösung: «Mein Motor wurde mit einem Belastungs-EKG getestet. Ich hatte fast keine Extraschläge mehr. Alles war gut. Nach dem Testhaben Hanspeter Betschart und ich gejubelt», sagt Nadine Fähndrich.

 

Auf eigene Kosten Trainer angestellt

Auf die neue Saison hin musste Nadine Fähndrich mit einer einschneidenden Veränderung umgehen: Weil Swiss-Ski die Zusammenarbeit mit dem Slowaken Ivan Hudac, dem Trainer der Schweizer Langläuferinnen und Fähndrichs Bezugsperson, nicht mehr verlängerte, stand sie vor einer schwierigen Entscheidung. «Ivan Hudac ist mein grosser Förderer. Er war bei all meinen Erfolgen mit dabei. Kontinuität ist mir sehr wichtig. Wir haben einen Plan, wie ich mich bis zu den Olympischen Spielen 2026 so verbessern kann, dass ich im Kampf um die Medaillen mithalte. Deshalb habe ich mich entschlossen, mit ihm weiter zu arbeiten und ihn auf eigene Kosten zu bezahlen», sagt die Schweizer Sprint-Leaderin. Ein Sponsor hilft bei der Finanzierung.


Unterstützt wurde Nadine Fähndrich von ihrem jüngeren Bruder Cyril (25), der ebenfalls schon auf einem Weltcup-Podest stand. Auch er absolvierte die Saisonvorbereitung unter Ivan Hudac ausserhalb der Verbandsstrukturen von Swiss-Ski. «Es ist schön, gemeinsam mit Cyril im Weltcupunterwegs zu sein. Mit ihm kann ich über Dinge reden, die ich meinen Teamkolleginnen vielleicht vorenthalten würde. Er spendet mir Trost oder bringt mich zum Lachen, wenn ich am Grübeln bin», sagt Nadine Fähndrich, die im Luzerner Dorf Eigenthal 100 Meter neben der Langlaufloipe aufgewachsen ist.

 

Traumziel Südsee

Eine wichtige Bezugsperson für Nadine Fähndrich ist auch Freund Elvis Fazliu (29), mit dem sie in einer Eigentumswohnung in Knutwil bei Sursee LU lebt. «Er ist mein Ruhepol und gibt mir Kraft.» Kennen gelernt haben sich die beiden vor zehn Jahren im Ausgang. Entspannen kann sich Fähndrich auch beim Lesen. «Momentan begeistern mich die acht Bridgerton-Bände von Julia Quinn.» Hört sie Musik der australischen Sängerin Sia, tankt sie ihre Energiereserven wieder auf. Träumt Nadine Fähndrich als Sportlerin von einer Olympiamedaille, lassen Bora-Bora und die Fidschi-Inseln in der Südsee ihr Herz höher schlagen. Vorerst geht es aber in der neuen Saison in weisse Winterlandschaften statt an weisse Sandstrände.



Nadine Fähndrich auf Reisen.
Nadine Fähndrich auf Reisen

 

Thomas Wälti ist Kilimandscharo-Besteiger und holt sowieso gerne in den Bergen Kraft. Die SAC-Hütten sind seine Ruheinseln im hektischen Alltag. Als kreativer Texter serviert der langjährige Journalist komplexe Themen in leicht verdaulichen Häppchen. Getreu dem Motto: «In der Kürze liegt die Würze».




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