Im Schweizer Nationalteam hat es zahlreiche grosse Talente. Eines davon ist Lia Kamber, die nicht nur wegen des Vornamens und der gleichen Position als Nachfolgerin von Captain Lia Wälti gilt. Die 18-Jährige ist bereits Leistungsträgerin beim FC Luzern und steht vor einer verheissungsvollen Zukunft.
Fabian Sanginés über Lia Kamber
Es muss ein angeregtes Telefonat gewesen sein, das Lia Kamber Mitte Februar führte. Irgendwie schwer vorstellbar, dass es wirklich für einen Moment still war, als die junge Fussballerin ihre besten Freundinnen anrief, um mit ihnen die Freude über ihr erstes Aufgebot des Schweizer A-Nationalteams zu teilen. Doch Kamber versichert: «Wir waren alle sprachlos.» Dabei dürften Noemi Ivelj, Sydney Schertenleib und Leela Egli einiges zu erzählen gehabt haben, schliesslich waren sie in der Vergangenheit schon mal aufgeboten worden. Aber nun stehen sie gemeinsam im Aufgebot, es wird quasi ein Girls-Trip der vier Besties nach Spanien. Nur sind es keine Ferien, sondern das vorläufige Highlight in Kambers noch jungen Karriere.
Es ist eines, das nur eine Frage der Zeit schien. Kamber ist Teil einer Generation von aufregenden jungen Fussballerinnen, die der Schweiz in Zukunft viel Freude bereiten dürften. Vor einem Jahr stand sie mit der Schweiz im Halbfinal der U-17-EM, dabei war sie nicht nur dort eine Führungsspielerin, auch im U-19-Nationalteam gehörte sie gleichzeitig schon zu den Leistungsträgerinnen. Und beim FC Luzern war die damals 17-Jährige im zentralen Mittelfeld gesetzt.
Früh mit Buben gespielt
Dabei waren sie in der Innerschweiz Anfang Saison noch vorsichtig gewesen. Kamber hatte soeben drei Jahre Ausbildungszentrum in Biel hinter sich, dort wohnte sie unter der Woche in einer Gastfamilie und trainierte täglich, manchmal auch zweimal pro Tag, und an den Wochenenden spielte sie im Team Zugerland bei den Jungs mit. Obwohl, sie spielte nicht einfach nur mit, sie war als Taktgeber im Mittelfeld ein zentraler Bestandteil des Teams.
Wahrscheinlich half es ihr, dass sie schon früh gelernt hat, sich gegen Buben durchzusetzen. Mit ihrem älteren Bruder spielte sie oft Fussball. «Es begann immer lustig, mit Schüssen aufs Tor und so», erzählt Kamber. Sobald es aber ins Eins-gegen-Eins ging, wurde es hitzig: «Meistens gingen wir dann getrennt nach Hause.» In ihren Anfangsjahren war ihr Bruder ihr Vorbild, wegen ihm begann sie zu spielen, zu ihm schaute sie auf. «Bis ich besser wurde», sagt sie lachend.
Und während der Bruder mit Fussball aufgehört hat, machte die kleine Schwester im Sommer 2022 den Schritt zu den Frauen. Vorgesehen war, dass Kamber einen Teil der Vorbereitung mit dem AWSL-Team bestreitet und dann die Saison in der U-19 spielt. Es reichte aber ein Training mit den Erwachsenen, bis der damalige Trainer Urs Bachmann sagte: «Die bleibt bei uns!» Die Umstellung von Fussball mit pubertierenden Jungs zu erwachsenen Frauen gelang recht flüssig, Kamber war sofort Stammspielerin, in den ersten beiden Ligaspielen erzielte sie jeweils ein Tor.
Diese Eingewöhnung in Überschallgeschwindigkeit überraschte in Luzern viele – nur Kamber nicht wirklich. Im Gegensatz zu vielen anderen Fussballerinnen ist mangelndes Selbstvertrauen bei ihr gar kein Problem. Das kann daran liegen, dass sie ihr gesamtes vorheriges Fussballleben in Bubenteams verbrachte: «Die glauben eher, dass sie die Besten sind. Das finde ich positiv.» Es überrascht sie, dass viele ihrer erwachsenen Mitspielerinnen an ihren Fähigkeiten zweifeln, viel Verständnis hat sie dafür nicht übrig. Trotz ihres jungen Alters versucht sie rasch, ihre Mentalität einzubringen, dabei hilft ihr eine weitere Erfahrung ihrer Zeit bei den Jungs: «In den Trainingsmatches ging es bei ihnen fast um Leben und Tod. Dieser Ehrgeiz fehlt manchmal bei den Frauen.»
Der schnelle Aufstieg
Im ersten Moment kommt das nicht bei allen gut an, es hilft auch nicht, dass Kamber oftmals diesen leicht skeptisch wirkenden Blick hat. Es sieht so aus, als hätte sie die Augen nur halb offen, gepaart mit ihrem Selbstvertrauen entsteht schnell der Eindruck von Arroganz. Der wird aber rasch entkräftet. Im Gespräch gibt sie sich humorvoll, offen, fröhlich, manchmal auch selbstkritisch. Und bei Mitspielerinnen ist sie immer offen für Ratschläge, nimmt Tipps dankend an und versucht sie umzusetzen. Ältere Teamkolleginnen schätzen Kambers respektvolles Verhalten ihnen gegenüber.
Das hat sich nicht geändert. Bis heute nicht, obwohl Kamber in der internen Hierarchie schnell aufgestiegen ist. Als 18-Jährige war sie in der abgelaufenen Saison bereits Vizecaptain, unter anderem im Cup-Halbfinal gegen Servette durfte sie die Kapitänsbinde tragen. Die Mischung aus der Bedeutung eines Halbfinals und der Tatsache, dass die Partie in der Swisspor-Arena ausgetragen wurde, machte dieses Erlebnis für Kamber noch spezieller, die Ehre nochmals ein bisschen grösser.
Und es machte Kamber noch aufregender für andere Vereine. Zahlreiche Interessenten melden sich. Anfang Juni unterschreibt sie beim FC Basel, lässt sich aber voraussichtlich für die erste Hälfte der Saison 2024/25 an Luzern ausleihen. Ab Januar 2025 sollte sie dann im FCB-Shirt auflaufen und dort die Gelegenheit erhalten, um Titel mitzuspielen.
Aufmerksam wurde natürlich längst auch das Nationalteam. Überraschend kann es deshalb nicht gewesen sein, als U-19-Nationaltrainerin Veronica Maglia anrief, um Kamber mitzuteilen, dass sie auf der sogenannten Longlist des A-Nationalteams steht. Eine Art erweitertes Kader, das Pia Sundhage aufstellte, nachdem sie Inka Grings als Nationaltrainerin beerbt hatte. Ab da begann sich Kamber insgeheim Hoffnungen zu machen, in Sundhages erstem Aufgebot zu stehen.
Und tatsächlich, als sie vergangenen Februar die E-Mail des Schweizerischen Fussballverbandes öffnete und neben Lia Wälti noch eine weitere Lia im Aufgebot sah, war sie erstmal überwältigt: «Ich rief direkt Sydney Schertenleib, Noemi Ivelj und Leela Egli an.» Wenn schon sprachlos, dann immerhin gemeinsam mit den besten Freundinnen.
Ungewohnt wortkarg war Kamber dann auch, als sie ein paar Wochen später ins Camp einrückte, dort auf
ihre Vorbilder wie Ramona Bachmann, Ana-Maria Crnogorcevic oder eben Lia Wälti traf. Doch die Integration wurde ihr leicht gemacht: «Sie behandelten uns Jungen, als wären wir schon lange dabei.»
Lia Kamber (Geb. 30. Januar 2006) ist in Cham aufgewachsen und begann dort im Alter von 7 Jahren mit Fussball. Bis Sommer 2022 spielte sie bei den Jungs, zuerst in Cham und dann im Team Zugerland, daneben durchlief sie von der U-16 bis zur U-19 alle Stufen der Schweizer Junioren-Nationalteams. Neben dem Fussball absolviert die Spielerin des FC Luzern derzeit eine KV-Ausbildung. Voraussichtlich ab Januar 2025 wird Kamber beim FC Basel spielen.
Das Debüt gegen Polen
Auch Nationaltrainerin Sundhage half im Nationalteam mit ihrer nahbaren Art und mit ihren konstruktiven Feedbacks. Und ein Teamabend lockerte die Stimmung zusätzlich auf, alle Neuen mussten singen. Sundhage tat es, Kamber sowieso. Gemeinsam mit Leela Egli sang sie «All of me» von John Legend, dazu unterhielten sie die Teamkolleginnen mit einer Choreo. «Ich glaube, wir haben das ziemlich okay gemacht», erzählt sie lachend. Nervös war sie dabei nicht, im Gegensatz zum Moment kurz vor ihrem Debüt.
Es lief das zweite Testspiel gegen Polen, 20 Minuten waren noch zu spielen, Assistenztrainer Anders Johansson schickte fünf Spielerinnen zum Warmlaufen – Wechsel konnten die Schweizerinnen aber nur noch einen tätigen. In Kambers Kopf beginnt es zu rattern: «Wer kommt rein?» Und: «Bin ich es?» Es vergingen nur wenige Minuten, sie fühlten sich ewig lange an. Dann rief Johansson vier Namen, sie mussten sich hinsetzen. Nur Kamber blieb übrig, sie musste noch ein paar Sprints machen, von da an war klar: Sie kommt zu ihrem Debüt im A-Nationalteam. In der 78. Minute war es so weit, sie nahm ihren Platz im zentralen Mittelfeld ein. Neben Lia Wälti. Dem Captain. Dem Vorbild. Der Chefin. «Das ist schon unglaublich », findet sie ein paar Monate später.
Gut möglich, dass die beiden Lias in Zukunft noch ein paar Mal nebeneinander auflaufen, sicher ist auf jeden
Fall, dass Kamber sich Tipps von ihrem Captain abholt – auch, was den weiteren Karriereweg betrifft. Die beiden verbindet nicht nur ihr Vorname, sondern auch Position und ein Stück weit die Spielweise. Der naheliegende Vergleich stört sie nicht, ganz im Gegenteil. «Ich würde sehr gerne in ihre Fussstapfen treten», sagt Kamber, im Wissen, wie gross die Abdrücke sind, die Wälti einst hinterlassen wird. Doch ihr Talent, der Ehrgeiz und die frühen Erfahrungen als Führungsspielerin machen Kamber zu einer durchaus designierten Thronfolgerin im Schweizer Fussball.
Fabian Sanginés war selbst passionierter Fussballer, bis er zum Futsal wechselte – da lief es ihm als Nationalgoalie
etwas besser. Seine besten Tage liegen aber längst hinter ihm, mittlerweile wäre er für Lia Kamber auch kein
Gegner mehr im 1vs1. Aktuell arbeitet er als Vollzeittrainer eines Frauen-Erstligisten in Cayman Islands, zuvor war
er Assistenztrainer bei den YB-Frauen. Bis zu seinem Wechsel in die Karibik Ende Januar arbeitete er zudem als
Sportjournalist für Tamedia.
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