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«Ich rechnete in diesen ersten Minuten nach dem Unfall mit dem Schlimmsten»

Florence Schelling blickt auf eine sehr erfolgreiche Karriere als Eishockeygoalie zurück, spielte sogar auf hohem Niveau bei den Männern, gewann mit der Schweiz sensationell die Bronzemedaille an der WM 2012 und an den Olympischen Spielen 2014. Und sie ist zwar im März erst 34 Jahre alt geworden, hat aber in ihrem Leben schon sehr viel erlebt. Teil 2 der zweiteiligen und ausführlichen Unterhaltung mit einer faszinierenden Frau und beeindruckenden Persönlichkeit – deren Lachen ansteckend ist. Diesmal spricht Schelling unter anderem über ihren

bemerkenswerten Aufstieg als Eishockeygoalie und den schweren Skiunfall, über die Jahre in den USA und in Schweden sowie über ihre vielfältigen Erfahrungen im Berufsleben.


Fabian Ruch im Gespräch mit Florence Schelling


MVP des Turniers, beste Torhüterin und Bronze: Florence Schelling an den Olympischen Spielen 2014 (Keystone)


Im Frühling erschien in SPORTLERIN der erste Teil des Gesprächs mit Florence Schelling. Das Interview sorgte für

viele Schlagzeilen, weil Schelling offen über ihre Arbeit beim SC Bern gesprochen hatte – und wie schlecht sie damals als Sportchef intern behandelt worden war. Viele Medien griffen das Thema auf, einige mit dem üblichen Reflex in einer von Männern geprägten Branche. Insbesondere die lokale Berner Zeitung, sowieso seit Jahren eng mit dem SCB und der Pressestelle des Klubs verbunden, zitierte anonym Insider, die nicht mit Vorwürfen gegen Schelling zurückhielten. Das war im Grunde genommen eine entlarvende Bestätigung für die Aussagen der 34-Jährigen über den SC Bern.


Beim SCB sind die von Schelling kritisierten Strukturen nämlich auch 2023 nicht besser geworden. Das zeigte sich vor ein paar Wochen, als eine weitere masslos enttäuschende Saison mit mehreren Entlassungen im oberen Management zu Ende ging. Nun kehrt der frühere CEO und Präsident Marc Lüthi zurück an die operative Spitze des Klubs.


Im Gespräch bei SPORTLERIN mit Florence Schelling ging es nicht darum, was die Sportchefin beim SCB damals womöglich alles nicht richtig gemacht haben könnte. Sondern darum, dass sie endlich auch ihre Sicht der Dinge vorurteilsfrei darlegen konnte. Vorgeworfen wurde Schelling deshalb, dass sie das Stillschweigeabkommen mit dem SC Bern gebrochen habe, was ziemlich scheinheilig ist. Schliesslich waren es leitende SCB-Funktionäre und Presseleute, welche nach dem Ausscheiden Schellings die Medien mit vielen Informationen und Indiskretionen gefüttert hatten.


Im besten Fall wird man in ein paar Jahren immerhin sagen, Schelling habe den Weg für Frauen im Männersport geebnet – selbst wenn es für sie sehr schmerzhaft war. Im zweiten Teil des Gesprächs geht es nun um die aussergewöhnliche Karriere Schellings als Eishockeygoalie – und um ihre vielfältigen Erfahrungen in diversen Bereichen auf der ganzen Welt. Ehrlich und berührend spricht Schelling auch über ihren schweren Skiunfall vor ein paar Jahren.


Florence Schelling, beginnen wir in Ihrem abwechslungsreichen, turbulenten Leben von vorne. Was waren Sie für

ein Mädchen?

Ich war wie meine Eltern und die zwei älteren Brüder sehr sportlich, habe alles Mögliche gemacht: Golf und Tennis,

Squash und Schwimmen und Leichtathletik und vieles mehr, das meiste betreibe ich heute noch. Mit Eishockey begann ich schon mit 4 Jahren im Klub, das war bei GC.


Und warum wurden Sie Goalie?

Das hat mich sofort fasziniert. Weil meine Brüder Stürmer und Verteidiger waren, brauchten sie zu Hause zudem jemanden, der im Tor steht. Die kleine Schwester war natürlich sehr geeignet dafür.


Wann merkten Sie erstmals, dass Sie ein Torhüterintalent sind?

Es gab bei uns zu Hause in der Garage einen für mich entscheidenden Moment. Mein Bruder schoss mal wieder mit

einem Tennisball stundenlang auf mich. Einmal gelang ihm ein Riesenstrich, wie man sagt, ein wirklich toller Schuss. Er meinte nonchalant, dass ich richtig gut wäre, wenn ich diesen Schuss gehalten hätte. Da öffnete ich meine Fanghand, darin lag der Tennisball. Was für ein schöner Augenblick! Das war das höchste der Gefühle für mich, dass der Bruder die kleine Schwester lobt. Ich war so stolz. Da war ich vielleicht 8 oder 9 Jahre alt.


Wie lief die Karriere in der Jugend?

Sehr gradlinig. Ich spielte immer in Bubenmannschaften und später bei den Männern, von 4 Jahren bis 19, ehe ich in die USA ging. Es war in meiner Laufbahn so: Im Ausland spielte ich mit Frauen, in der Schweiz mit Männern, ausser im Nationalteam und vereinzelt in der Schweizer Frauenliga.


Gab es einen bestimmten Moment, in dem Sie realisierten, die beste Torhüterin der Schweiz werden zu können?

Ich wurde mit 12, 13 Jahren erstmals für die Schweizer A-Nationalmannschaft aufgeboten. Damals fehlten fünf Torhüterinnen verletzt oder krank. Danach war ich immer dabei.


Wie war das in der Pubertät mit lauter Jungs im Team und in der Kabine?

Sehr gut, auch wenn es nicht immer einfach war, da ich jahrelang die einzige Frau war. Ich hatte vielleicht auch Glück, aber alle Trainer haben das super antizipiert. Und ich wusste: Bringe ich Leistung, bin ich akzeptiert. Sonst wäre es schwierig geworden. Wenn ich Leistung erbrachte, spielte es keine Rolle, ob ich ein Bub oder ein Mädchen war. Und hätte es dumme Sprüche gegeben, wären die Trainer eingeschritten. In der Garderobe war auch alles klar geregelt. Wenn ich duschte, gingen die Jungs eben auslaufen. Und ich hatte mit dem Tüechli meine Tricks, wenn es sein musste. Für mich war es keine Option, alleine in einer separaten Kabine zu sein. Jeder, der eine Teamsportart betreibt, weiss, wie wichtig der Groove in der Kabine ist. Und ich war als Mädchen sowieso schon anders. Das wäre dann zu viel gewesen.


Wann wurde die Schweiz zu klein für Ihre Ambitionen?

Das würde ich gar nicht so sagen. Ich absolvierte meine letzte Saison mit dem U-20-Elite-Team und durfte auch ein Spiel bei den Männern in der Swiss League bestreiten, als ich mir überlegen musste, was der beste nächste Schritt für mich wäre, zumal ich nach der Matur ja auch an die berufliche Zukunft denken musste. Im Nationalteam hatte ich Kontakt zu Spielerinnen, die in den USA im College Eishockey spielten. Sie schwärmten von der Ausbildung und vom Leben an den Universitäten. Bereits bei den Olympischen Spielen 2006 war ich als 16-Jährige den Scouts aufgefallen, viele Unis kamen auf mich zu, es gab einige Angebote.


War es keine Option, in der Schweiz im Männereishockey so weit wie möglich zu kommen?

Doch. Aber was wäre gewesen, wenn ich mich nicht durchgesetzt hätte? Swiss-League-Niveau hatte ich, aber wäre es gut genug gewesen für eine ganze Saison? Und mich interessierten auch das Studium der Wirtschaftswissenschaften, das Leben in den USA, die Ausbildung an der Uni mit den erstklassigen Infrastrukturen im Eishockey.


Mit 19 alleine in den USA: Wie gross war diese Herausforderung?

Ich entschied mich ganz bewusst für die Northeastern University in Boston. Die Uni, die Mannschaft und vor allem

die Stadt gefielen mir unglaublich gut. Und dazu kam noch, dass Boston nur sechs, sieben Flugstunden von der Schweiz entfernt war. Es gab auch andere Offerten, aber da hätte ich immer noch umsteigen müssen. Zudem betrug die Zeitverschiebung nur sechs und nicht wie etwa in Kalifornien neun Stunden. Am Anfang hatte ich heftiges Heimweh, doch nach den ersten Monaten war ich über Weihnachten bei der Familie in der Schweiz, danach ging es. Weil ich wusste: Ich bin nur einen mittellangen Flug von zu Hause entfernt.


Wie war die Wohnsituation an der Uni?

Challenging. Es war ohnehin alles anders, Land und Leute, Sprache und Kultur. Im ersten Jahr wohnte ich

zusammen mit einer Teamkollegin in einem Doppelzimmer, die nächsten vier Jahre an der Uni jeweils in Studentenwohnungen auf dem Campus. Da gab es zwar kaum Privatsphäre, aber das war super-spannend mit all diesen interessanten Menschen. Und Boston ist in allen Belangen eine grossartige Stadt. Ich denke immer noch gerne

an diese Zeit zurück. Wir hatten unter den Studentinnen und Studenten einen engen Zusammenhalt, ich baute Freundschaften auf, die bis heute halten. Und wie gesagt: Die Bedingungen für mich als Eishockeyspielerin waren erstklassig. Uns wurde jeweils die Wäsche gemacht, wir hatten fünf, sechs Trainings in der Woche, ich konnte mich in Ruhe weiterentwickeln.


Im letzten Jahr wurden Sie sogar Meister…

… und das war die Krönung. Denn ich habe diese Uni auch ausgewählt, weil das Eishockeyteam der Frauen vorher nicht so gut gewesen war. Ich wusste: Das werden harte Spiele mit viel Arbeit. Wir steigerten uns von Saison zu Saison, gewannen schliesslich die reguläre Meisterschaft und wurden Beanpot Champion. Noch heute ist die Northeastern University eine erstklassige Adresse.


Warum kehrten Sie nach der Zeit in den USA in die Schweiz zurück?

Nach vier Jahren an der Uni durfte ich nicht mehr im Eishockeyteam mitspielen, aber mein Bachelor-Studium dort dauerte fünf Jahre. Also suchte ich ein Team in der CWHL, der damals besten Frauenliga. Ich landete bei Montreal, doch dort waren die zwei kanadischen Nationalgoalies, also wurde ich zu Brampton getradet und erlebte eine schöne Saison. In diesem Jahr arbeitete ich im Rahmen eines Praktikums in Montreal, spielte und trainierte in der Nähe von Toronto, studierte in Boston. Es war intensiv, aber lehrreich. Danach musste ich 2013 erneut eine wichtige Entscheidung treffen für die Saison vor den Olympischen Spielen. Für mich war bald klar, dass ich in die Schweiz kommen würde, weil ich hier das Umfeld kannte und mich bestmöglich auf die Olympischen Spiele vorbereiten konnte.


Mit welchen Gefühlen verliessen Sie Nordamerika?

Ich liebte den Way of Life in den USA, ich genoss das sehr, die Offenheit, die langen Öffnungszeiten, das kulinarische

Angebot, die Internationalität Bostons. Gleichzeitig freute ich mich auf die Schweiz und die Zukunft. Der Bachelor dauerte fünf Jahre, weil wir dreimal ein halbes Jahr ein Praktikum machten. Ich arbeitete in der Schweiz, im Europapark in Rust und bei der Molson-Coors- Brauerei in Montreal, dort war ich für den Import und Export verantwortlich von Bieren wie Corona. Ich war also bestens vorbereitet auf meine berufliche Karriere.


Welche Möglichkeiten boten sich Ihnen sportlich?

Nicht viele, in Nordamerika ist die Situation nach der Uni nicht einfach. Ich wollte auf für mich höchstem Level spielen, und das war zu diesem Zeitpunkt eine Liga bei den Männern. Selbst wenn ich jahrelang nur gegen Frauen gespielt hatte, traute ich mir das zu. In den Junioren-Auswahlen hatte ich mit dem späteren ZSC-Meistergoalie Lukas Flüeler zusammengespielt. Und weil mir die Olympischen Spiele in Sotschi so wichtig waren, ging ich auch nicht nach Schweden oder Russland in eine Frauenliga, sondern zu Bülach in die 1. Liga. Hier hatte ich das perfekte Umfeld, um beispielsweise auch Zusatztrainings zu absolvieren. Und ich konnte beim Internationalen Eishockeyverband in Zürich arbeiten.


Wie hart war die Rückkehr nach fünf Jahren ins Männereishockey?

Ich hatte mich schnell adaptiert, meine Leistungen in der 1. Liga waren gut. Als Feldspielerin wäre das sicher anders,

das ginge nicht. Aber im Tor hast du kaum Körperkontakt, man wird ja nicht gecheckt. Unter der Maske spielte mein

Geschlecht keine Rolle, den Gegnern war das egal, sie wollten Tore schiessen gegen mich. Und ein wenig Trash Talk gehört immer dazu. Insgesamt lief alles immer sehr respektvoll ab. Und nach zwei Jahren bei Bülach folgte schon das nächste Abenteuer in Schweden.


Als Goalie: Florence Schelling war eine der weltbesten Torhüterinnen (Keystone)


Was sagt das über Sie aus, dass Sie erneut eine neue Herausforderung gesucht haben?

Ich wollte mir später nicht vorwerfen, nicht das Optimum aus meiner Karriere gemacht zu haben. Und die schwedische Liga ist die beste der Welt, noch besser als die russische. Ich konnte meine drei Jahre bei Linköpings mit Arbeit sowie mit dem Master-Studium erneut sehr gut verbinden. Es gefiel mir in Schweden sehr. Und das war ja nun im Gegensatz zu den USA definitiv nur ein Katzensprung von der Schweiz entfernt. Einzig die lange Dunkelheit im Winter bereitete mir Schwierigkeiten, aber daran gewöhnt man sich. Neben dem Studium arbeitete ich in Schweden übrigens für Ruag Space, das in Linköping und Göteborg Niederlassungen hat.


Und dann beendeten Sie 2018 mit bereits knapp 29 Jahren Ihre aktive Karriere. Warum eigentlich?

Warum bereits? Eher: erst. Klar, ich war 2018 in sehr guter Verfassung und hätte noch ein paar Jahre weiterspielen können. Eigentlich hätte ich schon 2014 aufhören wollen, aber die Bronzemedaille mit der Schweiz an den Olympischen Spielen in Sotschi war mein grösster Erfolg und ein Ansporn, weiterzumachen und einen weiteren olympischen Zyklus dabei zu sein.


Gewichten Sie Ihre Darbietungen an den Olympischen Spielen höher als jene in der 1. Liga bei den Männern?

Das ist, wie wenn man Äpfel mit Birnen vergleicht. Klar ist das Hockey bei den Frauen anders. Aber in der 1. Liga bei den Männern geht es vergleichsweise nicht mal im Ansatz um so viel wie bei den Olympischen Spielen. Dort steht man für sein Land im Einsatz, ein Fehler kann das Ende aller Träume bedeuten. Das ist eine ganz andere Herausforderung.


Wie war es eigentlich, manchmal innerhalb von wenigen Tagen von Männereishockey auf Fraueneishockey zu wechseln?

Das war eine meiner grössten Stärken: dass mir das immer ohne Probleme gelang. Darauf war ich stolz, weil das auch

vielen sehr starken Torhüterinnen Mühe bereitete. Mental war ich parat, das war wie ein Lichtschalter, den ich drücken musste: Und jetzt Frauen, und jetzt Männer, und jetzt Frauen. Es sind zwei unterschiedliche Spiele. Bei den Männern ist es halt körperlich intensiver, die Verteidiger werfen sich in die Schüsse, checken, es gibt mehr Ablenker. Bei den Frauen sind die Schüsse logischerweise im Schnitt langsamer, aber das macht es nicht einfacher.


2018 kam also das Karriereende. Wie waren Sie darauf vorbereitet?

Ich hatte ja genügend Zeit, mich damit zu befassen. Ich hatte alles gut geplant, so bin ich. Am Tag meines letzten Eishockeyspiels, dem entscheidenden Spiel 3 im Playoff-Final in Schweden gegen Lulea, unterschrieb ich am Morgen meinen Arbeitsvertrag bei Ernst & Young in Zürich. Leider verloren wir dann am Abend. Aber es war ein würdiger Abschluss auf höchstem Niveau.


Sie hätten doch noch lange weiterspielen können.

Klar, leistungsmässig wäre das gut möglich gewesen. Aber der Aufwand im Fraueneishockey ist riesig, es gibt kaum Geld zu verdienen und sehr wenig Freizeit, weil man ja daneben noch arbeitet. Die Situation ist nicht gut. Ich hatte alles gesehen, alles erlebt, es war eine traumhafte Zeit mit fast 200 Länderspielen. Zudem gab es im Nationalteam der Frauen ein paar atmosphärische Spannungen, einige langjährige Spielerinnen hörten auf, weil sie mit der Führung nicht zufrieden waren, aber auch jüngere hatten genug. Die Trainerin Daniela Diaz verlangte viel, es sollte alles immer noch mehr werden. Aber zu welchem Preis?


Was hat Sie am meisten gestört?

Dass man mir die Freude am Spiel nahm. Aber es war vorher die grösste Zeit meiner Karriere im Nationalteam wunderbar gewesen, darum konnte ich damit umgehen. Ich hoffe, dass die Entwicklung im Nationalteam so ist, dass die Spielerinnen mit Freude einrücken können. Denn ohne das klappt gar nichts.


Als Strahlefrau: Florence Schelling zusammen mit Eishockeyspielerin Laura Benz an der Sportgala (Keystone)


Was verdienten Sie als Spielerin?

Bei Bülach gab es einen kleinen Betrag als Spesenentschädigung. In Schweden erhielt ich gerade genug, um eine sehr günstige Wohnung bezahlen zu können.


Was trieb Sie an? Die Passion Eishockey?

Klar! Und die Erlebnisse in einer Mannschaft. Die Herausforderung. Körperlich und mental. Die intensiven, schönen

Momente. Ich hatte sehr hohe Ansprüche an mich selbst. Darum stand ich nach diesem letzten Spiel gegen Lulea vor

fünf Jahren nie mehr in einem Tor.


Wow! Wären die Reflexe schnell wieder da, würden Sie heute Abend die Ausrüstung anziehen?

Davon bin ich überzeugt, die Bewegungen werde ich nie mehr vergessen. Ich machte das ja 25 Jahre lang jeden Tag. Vielleicht wird es mich in ein paar Jahren wieder reizen, in einem Eishockeytor zu stehen. Eishockey wird immer ein wichtiger Teil meines Lebens sein. Ich war nach meiner Karriere auch SRF Eishockey-Expertin und zuerst Assistentin und später Cheftrainerin der U-18-Nationalmannschaft der Frauen.


Bei Ernst & Young blieben Sie aber nicht lange.

Nein, das dauerte nur etwa ein halbes Jahr. Ich realisierte, dass diese Arbeit nichts für mich ist. Mein Traum war es immer gewesen, in einer Unternehmensberatung zu arbeiten, aber ich merkte bald, dass ich dort nicht glücklich werden würde. Ich kündigte den Vertrag auf Ende Januar 2019 und freute mich, dass ich nun ein weisses Papier vor mir hatte mit vielen Ideen. Unter anderem wollte ich die Ausbildung zum zertifizierten Coach beginnen. Aber dann kam der Skiunfall am zweiten Ferientag, am 2. Februar 2019. Und alles war anders.


Wie sind Ihre Erinnerungen an den Unfall?

Es war eine total banale Situation, fast ein wenig wie bei Michael Schumacher. Es kann so schnell gehen. Ich war mit meinem Vater unterwegs, fuhr über eine Windverwehung, blieb mit den Skiern stecken und flog kopfvoran in den Schnee. Und bevor Sie fragen: Einen Helm hatte ich selbstverständlich an. Und ich bin eine gute Skifahrerin.


Wie reagierte Ihr Vater?

Er hörte meine Schreie und kam sofort zurück. Ich spürte einen unglaublich tiefen Schmerz im Nacken, es war schrecklich. Und beim Sturz hatte ich ein Knacksen gehört, ich rechnete in diesen ersten Sekunden nach dem Unfall mit dem Schlimmsten. Zuerst kam die Pistenärztin, die sofort realisierte, dass etwas gar nicht gut ist. Ich erhielt eine Halskrause und wurde mit der Rega ins Spital geflogen.


Was ging Ihnen durch den Kopf?

Ich reagierte, wie wohl alle Menschen reagieren würden. Ich probierte, Arme und Beine zu bewegen, aber das klappte vorerst nicht. Ich dachte, ich sei gelähmt. Wobei: Das war der zweite Gedanke. Der erste war: Ich lebe noch. Und es war wirklich alles andere als ein krasser Sturz, es war eine geradezu lächerlich harmlose Situation gewesen. Schliesslich gelang es mir, Finger und Zehen zu bewegen. Viel mehr aber nicht.


Wie ging es weiter?

Ich wurde am nächsten Morgen operiert. Und dann begann die lange Reha. Es hiess irgendwann, nach sechs Monaten sei alles wieder okay, aber nach sechs Monaten war erst einmal nur der Halswirbel wieder gesund. Heute geht es mir gut. Der Nackenbereich ist sehr sensibel, darum gehe ich beispielsweise nicht mehr Velo fahren oder joggen, weil das nicht gut ist wegen der Nackenhaltung.


Wie verarbeiteten Sie den Unfall mental?

Es war hart, aber ich geriet nicht in schwere Depressionen. Aber es war hart. Ich war und bin ein totaler Bewegungsmensch. Und dann durfte ich so lange nichts machen! Ich kam in ein sehr gutes Programm in der Schulthess-Klinik, dort wurde ich überragend betreut. Ich sprach zudem mit tollen Psychiatern und Psychologen. Da ging es vor allem darum, wie ich reagieren soll, wenn es mir einmal schlecht gehen sollte. Zum Glück ging es mir psychisch nie total mies.


Was überwog bei der Verarbeitung: die Frage «Warum ich?» oder die Erkenntnis, Glück im Unglück gehabt zu haben?

«Warum ich?». Aber mehr im Sinn, warum genau ich so vergleichsweise glimpflich davongekommen bin, während andere querschnittgelähmt sind oder sterben. Ich war und bin eine vorsichtige Skifahrerin. Es war einfach sehr unglücklich. Und mein Ziel war sofort, ein Jahr nach dem Unfall wieder auf den Skiern zu stehen. Das habe ich geschafft. Ich bin wieder gesund.


Fabian Ruch ist zwar Berner, aber seit Bubenzeiten Anhänger des EHC Kloten. Er hat die langen Gespräche mit Florence

Schelling als spannend, unterhaltsam und inspirierend empfunden. Er ist beeindruckt vom Werdegang Schellings und

ihrer Art. Und er überlegt sich immer noch, einen Kurs bei ihr zu buchen – denn wer kann sich bezüglich Fokus setzen nicht

verbessern?



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