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«Man kann erfolgreich scheitern»

Blick hinter die Maske: Florence Schelling im grossen Interview – Teil 1 über ihre Zeit beim SCB und ihren neuen Job. Florence Schelling blickt auf eine sehr erfolgreiche Karriere als Eishockeygoalie zurück, spielte sogar auf hohem Niveau bei den Männern, gewann mit der Schweizer Frauenauswahl sensationell die Bronzemedaille an der WM 2012 nd an den Olympischen Spielen 2014. Und sie ist zwar im März erst 34 Jahre alt geworden, hat aber in ihrem Leben schon sehr viel erlebt. Schelling spricht in SPORTLERIN über ihr turbulentes Jahr als Sportchefin beim SC Bern und über die neue Herausforderung mit der eigenen Coachingfirma. Teil 1 der zweiteiligen und ausführlichen Unterhaltung mit einer faszinierenden Frau und beeindruckenden Persönlichkeit – deren Lachen ansteckend ist.


Fabian Ruch im Gespräch mit Florence Schelling




Florence Schelling, wie geht es Ihnen – und was machen Sie?

Mir geht es gut. Ich habe mich im September 2022 mit meiner Firma «Focus Finder» selbständig gemacht. Ich führe entwicklungswillige Menschen aus der Wirtschaft und aus dem Sport zu ihrem optimalen Fokus, damit sie ihre ambitionierten Ziele erreichen. Ganz nach dem Motto: Finde deinen Fokus und entfalte dein volles Potenzial.

Ihnen ist das immer wieder gelungen. Wir würden mit Ihnen zuerst gerne über die letzten Jahre sprechen.


Sie hatten im Februar 2019 einen schweren Skiunfall und wurden 14 Monate später SCB-Sportchefin. Was passierte in der Zeit dazwischen?

Ein halbes Jahr hatte ich nach dem Skiunfall und der Operation am Halswirbel totale Ruhe, anders wäre das gar nicht gegangen. Im Herbst 2019 konzentrierte ich mich auf die Physiotherapie und auf meine Aufgabe als Headcoach bei der U-18-Auswahl der Frauen sowie auf meine Arbeit als SRF-Eishockeyexpertin. Ich durfte dann auch Anfang 2020 noch nicht wieder 100 Prozent arbeiten und war dabei, mich auf den Kurs vorzubereiten, um die Diplome als zertifizierter Coach zu erlangen. Für mich war im Frühling 2020 klar: Nun ziehe ich das durch, weil ich schon immer davon geträumt hatte, als Coach zu arbeiten. Dann kam der SCB. Und am 14. April 2020 wurde ich als Sportchefin vorgestellt.


Wie lief die Kontaktaufnahme ab?

Anfang April hatte ich eine Nachricht auf der Combox, die Nummer war mir nicht bekannt, es war der SCB-Chef Marc Lüthi. Er bat um einen Rückruf. Ich dachte, es gehe um den «Girls Hockey Day», den ich im Vorjahr in Bern durchgeführt hatte. Vielleicht hatte ich eine Rechnung nicht bezahlt oder sonst was. Mit diesem Gedanken rief ich zurück. Es stellte sich sofort heraus, dass es nicht darum ging.


Waren Sie die einzige Kandidatin für den Posten des SCB-Sportchefs?

Soviel ich weiss, gab es zwei, drei Kandidaten. Doch beim ersten Treffen in Bern bot man mir gleich den Job an. Ich hatte eigentlich gedacht, das sei ein Vorstellungsgespräch. Innerhalb weniger Tage entschied sich alles. Ich war natürlich zuerst auch sehr überrascht, das kam aus dem Nichts. Andererseits wusste ich relativ schnell: Ich kann das! Warum sollte ich das nicht machen? Ich hatte mich ja nicht beworben. Der SCB wollte mich!


Die Verpflichtung von Ihnen war eine Nachricht, die um die Welt ging. Sie waren weltweit die erste Frau, die Sportchefin bei einem Männerklub in der obersten Liga wurde. Wie erlebten Sie diese Tage?

Mir war auch bewusst, was das bedeutet. Und vergessen Sie nicht: Im April 2020 war die Schweiz nahezu lahmgelegt.

Es gab zwar keinen Lockdown, aber vieles war verboten. Es ging in den Medien nur um eines: Corona, Corona, Corona. Und dann kam diese Meldung, die wie eine Bombe einschlug. Ich hätte niemals gedacht, dass ich so viele Interviews geben müsste. Leider konnten wir wegen der Pandemie keine Pressekonferenz machen. Und leider machten wir auch virtuell keine, das war im Nachhinein ein Riesenfehler.


Warum?

Weil ich monatelang nur Interviews gab. Den ganzen Sommer lang. Irgendwann sagte ich, dass ich nicht mehr kann. Es nahm einfach kein Ende. Und das war natürlich nicht ideal. Eine virtuelle Pressekonferenz für die Schweiz und eine für den Rest auf Englisch, das wäre richtig gewesen. Dann wäre ich nicht so stark in der Pflicht gestanden, mit allen zu reden. Und mit dem Wissen von heute würde ich das sowieso anders machen. Zumal ich jedes Interview selber gegenlesen musste. Ich musste über gefühlt jeden Satz mit den Journalisten verhandeln. Ich konnte mich beim SCB alles andere als in Ruhe einarbeiten.


Ohne Rückhalt beim SC Bern: Florence Schelling als Sportchefin an einem SCB-Spiel (Keystone)


Hatten Sie nie gezögert, weil die Aufgabe beim SCB ohnehin schon schwierig genug war, Sie aber zudem als Frau unter besonderer Beobachtung standen?

Nein. Ich war sehr gut qualifiziert für diesen Job, mit meinem Studium, meiner Vergangenheit im Eishockey, meinen

Beziehungen. Und eben: Der SCB kam auf mich zu. Ganz ehrlich: Der Job selber ist nicht schwierig, es ist einfach viel.

Wegen der Medienarbeit und Covid war es monatelang deutlich zu viel. In Bern gefiel es mir aber sofort, ich wohnte im Breitenrain-Quartier gleich neben dem Stadion, das war alles sehr praktisch.


Marc Lüthi gilt als hemdsärmeliger Chef, als Polterer auch, der zuvor nie im Verdacht gestanden hatte, ein besonders

ausgeprägter Frauenversteher zu sein. Hatte Sie auch das nicht abgeschreckt?

Überhaupt nicht. Ich hatte zuvor einmal einen ähnlichen Chef, mit dem ich sehr gut ausgekommen war. Ich habe es lieber, wenn einer ehrlich und direkt und manchmal hart ist. Es geht mir auch nicht darum, zu jammern oder schmutzige Wäsche zu waschen.


Wir haben in den letzten Jahren einige Interviews geführt mit Frauen, die es in männerdominierten Jobs weit gebracht haben. Sie alle erzählten von unangenehmen Momenten in Sitzungen, von Boys-Clubs, von derben Witzen. Beim SCB gibt es in der Chefetage einige Männer weit über 50. Wie war der Empfang im Klub?

Ich spürte sehr, sehr schnell, dass ich bei einigen überhaupt nicht willkommen war. So nach dem Motto: «Meitschi, was willst du denn hier?» Das war unangenehm, aber störte mich vorerst nicht einmal gross. Ich wollte, dass sich die Leute eine Meinung von mir und meiner Arbeit bilden. Und es ist nicht meine Aufgabe, das Denkmuster anderer Menschen zu verändern. Ich konzentrierte mich auf das, was ich kontrollieren kann. Das andere musste ich an mir abprallen lassen.


Wann kam der Zeitpunkt, an dem Sie dachten: «Was zum Teufel mache ich eigentlich hier?»

Es war ja klar, dass es nicht einfach werden würde. Es gab schwierige Situationen und viele Momente, in denen ich auf enorme Widerstände stiess. Es wurde stundenlang über unwichtige Dinge diskutiert, das war wenig zielorientiert.


Und Marc Lüthi, der Sie ja geholt hatte, stützte Sie nicht?

Er war längst nicht bei allen Sitzungen dabei. Wissen Sie, die Strukturen beim SCB sind sehr schwierig und nicht besonders modern. Sie waren zum Scheitern verurteilt. Es redeten viel zu viele Leute mit. Und man sah ja auch danach, dass die Strukturen nicht funktionieren.


Ihr Vorgänger Alex Chatelain war im Klub geblieben.

Es war schwierig. Die ganze Situation war schwierig. Und es wurde leider nicht besser.


Man muss das in der heutigen Zeit leider fragen: Gemobbt oder sexistisch beleidigt wurden Sie nicht?

Nein, das nicht. Aber wo ist die Grenze zum Mobbing?


Hatten Sie eine echte Chance, sich beim SCB durchzusetzen?

Nein.


Wann merkten Sie das?

Im Unterbewusstsein sehr früh. Sehr, sehr früh, wohl schon nach den ersten zwei Wochen. Aber ich hoffte ja auf Veränderungen. Meine Aufgaben waren klar: Ich sollte frischen Wind entfachen, neue Perspektiven aufzeigen und die vorhandenen Strukturen aufbrechen. Leider war das unmöglich. Ich hörte oft im Freundeskreis: «Wenn du ein Schnäbeli hättest, wäre es einfacher!» Ich wollte das nicht wahrhaben, weil es doch nicht wahr sein konnte. Aber allein schon die ganze Sache mit der enormen Medienarbeit wäre ja weggefallen, wenn ich ein «Schnäbeli» gehabt hätte.


Sprachlos: Florence Schelling und der SCB-Chef Marc Lüthi (Keystone)


Wir verfolgten das damals natürlich auch und dachten: Wow, was für eine coole Geschichte! Aber gleichzeitig fanden

wir: Das ist eine enorm mutige Personalwahl, selbst wenn Sie ein Mann gewesen wären. Sie waren sehr jung, Ihnen fehlte die Erfahrung…

… das Alter darf keine Rolle spielen, das Geschlecht auch nicht. So weit sollten wir 2020 gewesen sein. Und wie viele Sportchefs haben Erfahrung? Wie viele Spieler werden direkt danach Sportchef? Ich war gut ausgebildet, hatte ein Wirtschaftsstudium und jahrelang in Unternehmen gearbeitet, war lange Nationalspielerin, kannte das Geschäft.


Aber Sie waren eine Frau.

Es war klar gewesen, dass das für gewisse Menschen ein Problem sein würde. Mich störte vor allem, dass es konstant so war, dass ich mit meinen Anliegen auflief. Und die Berichterstattung in den Medien wurde nicht besser. Wenn jeden Tag ungerechtfertigterweise Dinge in den Zeitungen stehen, die nicht korrekt sind, ist das belastend.


Wie konkret sprachen Sie intern an, dass Sie das Gefühl hätten, Leute würden gegen Sie arbeiten?

Es gab Konfrontationsgespräche, das brachte nichts ein. Irgendwann stellte ich mich auf den Standpunkt, dass man

nicht mich, sondern unsere Arbeit unterstützen soll. Es ging um den SCB.


War es nicht auch beispielsweise für Ihren Vorgänger Alex Chatelain schwierig in dieser merkwürdigen Konstellation?

Absolut. Darum sage ich ja: Die Strukturen stimmen beim SCB nicht. So kann nicht konstruktiv gearbeitet werden.


Überlegten Sie nie, den Job hinzuschmeissen?

Ich war immer eine Kämpferin. Aufgeben war keine Option, ich wollte Schritt für Schritt die Strukturen in die richtige

Richtung anpassen und ein neues Team zusammenstellen. Mir war es auch wichtig, die Leute von meinem Weg zu überzeugen. Aber ich stiess auf Widerstand.


Ihre Freistellung war also nur eine Frage der Zeit?

Ja. Als Anfang 2021 das Gerücht in den Zeitungen stand, Chris McSorley werde mich ersetzen und der neue starke Mann beim SCB, rief ich Marc Lüthi an und fragte ihn, ob ich noch ins Büro kommen soll. Er meinte, es gehe nicht um meine Position, aber es werde Anpassungen geben. Kurz darauf wurde Raeto Raffainer als neuer CSO vorgestellt. Es kam also noch eine Person mehr ins obere Management. Im April, nach einem erneuten internen Vorfall, ging ich

zu Marc Lüthi ins Büro und fragte ihn, ob er noch hinter mir stehe. Er zögerte mit der Antwort, da war für mich klar, dass es zu Ende geht. Zwei, drei Tage später wurde ich entlassen.


Wie lief das ab?

Ich wurde für ein Gespräch aufgeboten, und als ich antwortete, dass ich in dieser Zeit Saisonendegespräche führe, sagte mir Marc Lüthi, ich solle diese verschieben. Stattdessen kam es zu meinem Entlassungsgespräch, das war eine kurze Sache. Es hiess, es gehe nicht mehr gemeinsam weiter.


Sie sollen einen Vertrag mit einem halben Jahr Kündigungsfrist gehabt haben…

… zu Vertragsdetails möchte ich nicht Stellung nehmen.


Waren Sie erleichtert oder frustriert oder wütend oder enttäuscht?

Alles ein bisschen. In erster Linie fühlte ich mich sofort 50 Kilogramm leichter, der ganze Druck fiel ab. Ich wurde am

Morgen entlassen, ein paar Stunden später ging die Medienmitteilung raus. Da hatte ich schon mein Büro geräumt. Es

war ein Mittwoch, und ich weiss noch, wie ich bereits am Freitagabend meine Wohnung in Bern verliess, mich im Büro verabschiedet hatte und auf dem Weg nach Hause in Zürich war. In der Woche darauf ging ich in die Ferien nach Teneriffa, um Abstand zu gewinnen.


Vielleicht war es ein Problem für Sie, bei den einflussreichen Journalisten keine Seilschaften gehabt zu haben.

Vergessen Sie nicht, dass wegen Covid zu jener Zeit viele Dinge anders waren. Es gab weniger direkten Kontakt, nicht nur mit den Medien, sondern auch mit Zuschauern oder Sponsoren. Und leider gab es Journalisten, die nicht mit mir sprachen, aber oft kritisch über mich schrieben.


Warf Sie der Rauswurf mental aus der Bahn?

Ich brauchte lange, um das alles zu verarbeiten. Das kann man nicht so schnell abstreifen. Die Zeit war ungemein intensiv und speziell.


Fühlten Sie sich als PR-Gag missbraucht, weil der SCB bei Ihrer Installierung als mutig und progressiv für seine Entscheidung gefeiert wurde, Sie dann aber wie eine heisse Kartoffel fallen liess?

Nein. Ich war halt einfach der Sündenbock, weil der SCB keinen Erfolg hatte. Die weltweiten Schlagzeilen waren für mich ja gut, alle kannten mich, was es mir ermöglichte, auch mit wichtigen Agenten zu sprechen. Und der Job war spannend, ich betreute viele Themenbereiche, der Kontakt mit den Spielern war positiv.


Ihnen wurde vorgeworfen, dass Sie beratungsresistent und schlecht erreichbar seien. Wie haben Sie diese Kritik aufgenommen?

Ich war tatsächlich nicht immer erreichbar. Aber das musste ich auch nicht sein. Ich setzte klare Prioritäten, weil mich die ganze Medienarbeit zeitlich derart stark belastete. Ich würde es im Nachhinein immer noch genau gleich machen. Hätte ich jedes Telefon von Journalisten abgenommen, wäre ich gar nicht mehr dazu gekommen, meine Arbeit zu machen. Wenn man mir am Tag vorher eine Whatsapp-Nachricht geschrieben hätte, dann hätten wir einen Termin abmachen können. Und was hinzukam: Es waren ja dann keine Drei-Minuten-Gespräche, das dauerte immer eine halbe Stunde oder so. Ich musste auch mich und meine Arbeit schützen.


Die Sache mit der Beratungsresistenz…

… hat mich schon getroffen, klar. An den Sitzungen und Gesprächen beim SCB habe ich halt nicht zu allem Ja und Amen gesagt. Oft hiess es, das sei schon immer so gewesen. Aber genau das war ja das Problem. Ich habe vieles hinterfragt, das war meine Aufgabe. Wenn man das dann als beratungsresistent interpretiert, dann muss ich das akzeptieren. Eigentlich ist es aber so, dass ich mir vornehme, jeden Tag etwas zu lernen und Ratschläge von kompetenten Menschen anzunehmen. Es ist wichtig, dass man Mentoren hat, auf dieman sich verlassen kann. Und was sehr wichtig ist: In einer Position wie der als SCB-Sportchefin muss man eine dicke Haut haben und es aushalten können, dass schlecht über einen geredet und geschrieben wird.


Was ist Ihr Learning aus der SCB-Geschichte?

Ich hätte viel früher Unterstützung bei der Medienarbeit anfordern müssen. Das war einfach viel zu viel. Da kam eine Wucht auf mich zu, die nicht zu stoppen war. Was den sportlichen Teil meiner Arbeit betrifft, habe ich ein reines Gewissen. Als ich im April 2020 anfing, stand das Kader für die nächste Saison bereits. Und bei der Planung für die Saison 2021/22 wurde mir kommuniziert, dass das Budget deutlich gekürzt werde. Ich sagte, dass es so schwierig bis unmöglich werden würde, eine konkurrenzfähige Mannschaft zusammenzustellen. Beim Entlassungsgespräch warf man mir dann vor, ich hätte zu wenig um mehr Geld gekämpft. Vielleicht hätte ich auf den Tisch hauen sollen, das ist ein Learning daraus.


Ihre Trainerwahl von Don Nachbaur im Sommer 2020 war umstritten. Vor allem, wie es dazu kam.

Auch hier: Ich kenne die Wahrheit und weiss, wie das genau ablief. Vergessen Sie aber nicht, dass im Spätsommer kaum noch Trainer auf dem Markt sind.


Es gab Geschichten, dass Sie einen merkwürdigen Fragebogen bei der Trainersuche angewandt hätten.

Diesen Fragebogen hatte ich von Raeto Raffainer. Er hatte ihn beim HC Davos benutzt.


Wie waren die Reaktionen auf Ihre Freistellung?

Unterschiedlich. Beim Abschied im Büro war es speziell für mich, aber mir war es wichtig, aufrecht gehen zu können. Ich war seither nie mehr an einem SCB-Spiel. Marc Lüthi sah ich im letzten November erstmals nach meiner Entlassung.


Wie war das?

Es war einfach ein Gespräch (lacht).


Würden Sie heute einer Frau empfehlen, im Schweizer Männereishockey eine tragende Rolle anzunehmen?

Klar, nicht jeder Klub ist gleich organisiert. Ich sprach mit anderen Sportchefs und konnte feststellen, dass die Strukturen teilweise ganz anders sind. Mir war es wichtig, dass ich meine Ausbildung zum Coach nun durchziehe. Weil ich mein ganzes Leben dem Eishockey verbunden war, könnte es dennoch sein, dass es mich irgendwann wieder reizen wird, eine Position zu übernehmen.


Sie wurden Anfang März 34 Jahre alt und haben schon sehr viel erlebt. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Ich bin ein ambitionierter Mensch. Und die Jahre in den USA haben mich geprägt, ich schaue vorwärts, bin offen und

positiv, es geht immer weiter. Es freut mich sehr, konnte ich mich selbständig machen und darf nun meine Passion ausleben und andere Menschen unterstützen, den Fokus zu finden. Das ist ein aktuelles Thema, das immer stärker unseren Alltag bestimmt, weil die Ablenkung nicht nur wegen Social Media ständig grösser wird.


Mittlerweile sind bald zwei Jahre vergangen seit Ihrer Freistellung beim SCB. Werden Sie noch oft darauf angesprochen?

Und wie! Kürzlich sass ich in einer Pizzeria in Zürich, am Nebentisch sprachen die Leute Berndeutsch. Nach dem Essen stand eine Frau auf und sagte mir, wie cool es gewesen sei, was ich in Bern gemacht habe. Es brauche mehr solche mutigen Frauen. Das war eine schöne Erfahrung. Ein anderes Beispiel aus der letzten Zeit ist, als ich am Bahnhof in Zürich den Gleisen entlang lief. Plötzlich sprach mich ein Mann an und fragte: «Sind Sie Florence Schelling?» Dann meinte er, es freue ihn sehr, mich kennen zu lernen. Er habe sich zum Neujahr den Vorsatz genommen, jeden Tag jemanden anzusprechen mit einer positiven Nachricht. Er sagte mir, es sei eine Sauerei

gewesen, wie ich beim SCB behandelt worden sei.


Gibt es auch negative Reaktionen?

Ja, weil viele Leute sich ihr Bild in den Medien gemacht haben. Dann wollen sie sich die Bestätigung abholen, dass ich

zum Beispiel beratungsresistent sei. Ich möchte keine Energie verlieren, mich ständig rechtfertigen zu müssen. Wenn Meinungen gemacht sind, dann ist das eben so, da lasse ich mich nicht auf Diskussionen ein.


Sie sind sehr umtriebig und bewarben sich vor einem Jahr beispielsweise auch für die Athletenkommission des Internationalen Olympischen Komitees. Was war das für eine Erfahrung?

Eigentlich war es eine Riesenüberraschung, erhielt ich so viele Stimmen. Meistens werden bei diesen Abstimmungen

unter den Sportlerinnen und Sportlern jene gewählt, die am bekanntesten sind. Mit dem früheren französischen

Biathleten Martin Fourcade sowie der ehemaligen Skifahrerin Frida Handsdotter war die Konkurrenz stark und

prominent. Ich wäre in Peking fast gewählt worden. Was geblieben ist: Ich möchte Athletinnen und Athleten helfen und habe einige Ideen. Bei Swiss Olympic bin ich ja schon in der Athletenkommission.


Und wann haben Sie gemerkt, dass Sie als Coach arbeiten möchten?

Eigentlich schon sehr früh. Ich war bereits als Spielerin in dieser Hinsicht aktiv, war beispielsweise für ein britisches

Unternehmen tätig als Mentorin einer schwedischen Fechterin. Diese Ausbildung zum zertifizierten Coach wollte ich

schon lange beginnen, aber leider kam immer etwas dazwischen wie der Skiunfall oder der Job beim SCB. Mittlerweile habe ich diese Diplome gemacht und darf meine eigene Unternehmung aufbauen. Mir ist klar, dass es viele Coaches gibt, die Branche boomt. Darum habe ich mich bewusst dazu entschieden, einen klaren Fokus in meinem Angebot zu setzen. Das war ein langer Prozess, bei dem ich mich auch beraten liess. Und meine eigene Vergangenheit zeigt ja, dass es immer eine Stärke von mir war, einen klaren Fokus zu haben.


Was auffällt: Sie schrecken auch vor mutigen Schritten nicht zurück.

Ja, das ist es, was ich meine, wenn ich sage, die Zeit in den USA sei inspirierend gewesen. Wenn man nicht etwas wagt,

weiss man auch nicht, wie es herauskommt. Man kann erfolgreich scheitern. Natürlich hätte ich den bequemen Weg nehmen und Jahrzehnte bei einem grossen Unternehmen bleiben können. Aber das hätte mir und meiner Persönlichkeit nicht entsprochen. Aufgrund meiner Erfahrungen, meiner Ausbildungen und meiner Einstellung kann ich wertvolle Dienste als Coach anbieten. Die Schritte ins Ausland waren lehrreich auf meinem Weg. Ich bin heute aber sehr dankbar, in der Schweiz zu leben, bei uns ist vieles so perfekt. Wenn der Zug mal eine Minute zu spät kommt, muss man sich doch nicht aufregen. Es ist in anderen Ländern vieles schlimmer, die Lebensqualität in unserem Land ist enorm hoch, das Gesundheitssystem ist ausgezeichnet. Auch das muss man sich immer wieder vor Augen führen, wenn man sich verzettelt. Ich habe etwa in den USA ganz andere Dinge gesehen.



Mit klarem Fokus: Florence Schelling zusammen mit Kunden (zvg)


Dann leben Sie auch in zehn Jahren noch in der Schweiz und nicht in Kalifornien oder in Florida?

Das sind wunderschöne Regionen, keine Frage. Aber ja, meine Heimat ist die Schweiz, hier sehe ich auch meine berufliche Zukunft.


Und wie läuft das Geschäft mit Ihrer Firma «Focus Finder»?

Ich bin relativ neu, es gibt gute Monate, es gibt schlechte Monate. Das ist normal. Ich fühle mich wohl und kann machen, was ich gerne habe. Ich offeriere verschiedene Produkte, verbinde die Sessions mit sportlichen Aktivitäten, je nachdem, was der Kunde möchte.


Was bieten Sie an?

Vorträge, Workshops, Einzelcoaching. Wenn ich alleine mit einer Kundin oder einem Kunden arbeite, gibt es vier Programme mit jeweils drei Modulen. Am Anfang steht das Kennenlerngespräch, da finde ich die Bedürfnisse heraus, und wir schauen, ob wir zusammenpassen. Die Module Prepare und Concentrate finden jeweils an mindestens einem vollen Tag statt. Das Modul Reflection wird danach über einen zuvor definierten Zeitraum durchgeführt. Eine nachhaltige Veränderung braucht Zeit.


Wir können also zu Ihnen kommen und beispielsweise sagen, dass wir uns besser von Social Media abgrenzen möchten?

Das ist jetzt ein sehr konkretes Beispiel, aber das ist eine Möglichkeit, ja. Es muss nicht einmal sein, dass Sie ein Problem haben. Es geht allgemein darum, den Fokus zu finden in unserem durchgetakteten Alltag. Da ist es natürlich wichtig, dass die Menschen freiwillig zu mir kommen und sich mir anvertrauen. Manchmal schicken auch Firmen Angestellte zu mir, aber das ist dann schwieriger und dauert länger, weil die Bereitschaft nicht sofort da ist.


Dann nennen Sie uns doch drei goldene Regeln, wie man den Fokus findet, ohne gleich Ihr ganzes Geschäftsgeheimnis zu verraten.

(schmunzelt) Vorbereitung, Konzentration, Reflektion. Es gibt verschiedene Methoden und Techniken, den Fokus zu finden oder zu optimieren. Diese erarbeiten wir zusammen.


Sie haben nebenbei noch diverse Mandate, sind etwa auch im Verwaltungsrat von «I Believe In You» oder Ambassadorin für eine Organisation im Anti-Doping-Bereich. Wie gelingt es Ihnen, den Fokus zu finden?

Vorbereitung, Konzentration, Reflektion. (lacht)


Fabian Ruch ist zwar Berner, aber Anhänger des EHC Kloten. Er hat die langen Gespräche mit Florence Schelling als spannend, unterhaltsam und inspirierend empfunden. Er ist beeindruckt vom Werdegang Schellings und ihrer Art. Und er überlegt sich, einen Kurs bei ihr zu buchen – denn wer kann sich bezüglich Fokus setzen nicht verbessern?




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