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Die beste Fussballerin der Schweiz

Lia Wälti ist Captain des Nationalteams, spielt im zentralen Mittelfeld, ihr Verein ist Arsenal. Die 29-Jährige spricht im Interview über ihren Werdegang und ihre lange, erfolgreiche Karriere im Ausland, über Granit Xhaka und ihre Anfänge als Fussballerin im Emmental, über das Leben in Berlin und London und ihre Ziele mit der Schweizer Auswahl im Juli an der EM in England – sowie darüber, wie angenehm die offene Kultur im Frauenfussball auch bezüglich Sexualität ist.


Fabian Ruch im Gespräch mit Lia Wälti




Erleben wir in dieser Saison die beste Lia Wälti in ihrer Karriere?

Wow, was für eine Einstiegsfrage. Ich denke, die beste Lia Wälti war bisher jene vor meiner Knieverletzung, während der ersten Saison bei Arsenal vor bald vier Jahren. Ich wechselte damals nach fünf Jahren in Deutschland bei Potsdam nach England in ein starkes Team und war wirklich in guter Form, unbeschwert und beflügelt von meinem Transfer. Aber vielleicht kommen meine besten Leistungen ja erst noch.


Wann fühlen Sie sich in Bestform?

Auf meiner Position im zentralen Mittelfeld muss man selbstbewusst sein, man darf sich nicht verstecken, sollte immer anspielbar sein. Wenn man sich gut fühlt, körperlich und mental, hat das Auswirkungen auf die Spielweise. Es zeichnet mich sicher aus, dass ich auch unter Druck Lösungen finde, wenn ich den Ball habe. Mittlerweile bin ich ganz klar eine Sechs, um das in der Fussballersprache zu sagen, spiele also am liebsten im defensiven Mittelfeld, wo ich den Aufbau koordinieren kann.


Haben Sie Vorbilder?

Als Mädchen war Zinédine Zidane mein Hero, er war ein Genie. Er spielte natürlich offensiver als ich und hatte sagenhafte Qualitäten. Auch Andrés Iniesta war ein Vorbild, bei ihm sah immer alles so einfach aus. Von den aktuellen Topspielern ist Joshua Kimmich auf meiner Position ein sehr kompletter Fussballer.


Interessanterweise erwähnen Sie Fussballer. Was ist mit Fussballerinnen?

Vorbilder entwickeln sich in der Jugend. Als ich aufwuchs und bevor ich Profi wurde, war es schwierig, Fussballerinnen zu verfolgen, am TV wurden ja nur Männerspiele gezeigt. Es gab später viele Spielerinnen, die mich beeindruckten, es wäre nicht gerecht, würde ich eine herausheben. Sie sind Captain des Nationalteams und die beste Schweizer Fussballerin, spielen bei Arsenal, wohnen in London.


Leben Sie mit 29 Jahren eigentlich gerade Ihren Traum?

Nein, weil ich nie so einen Traum hatte. Als ich mit 13 Jahren ins Ausbildungszentrum nach Huttwil kam, gab es kaum Schweizerinnen, die in Topligen spielten und mich hätten träumen lassen. Als irgendwann Angebote aus dem Ausland kamen, war für meine Familie und mich klar, dass ich zuerst meine Ausbildung beende. Danach ging ich mit meiner Mutter nach Deutschland, schaute mir die Klubs in Potsdam und Freiburg an und fand, dass es schon cool wäre, als Fussballerin zu leben und mit meinem Hobby Geld zu verdienen.


Wovon träumten Sie denn als Mädchen?

Ich war bodenständig, wollte Kleinkindererzieherin werden. Fussball war meine grosse Liebe, ich kickte in jeder freien Minute. Aber ich dachte nie, dass ich das Potenzial hätte, einmal im Nationalteam und im Ausland zu spielen, andere waren in meinen Augen immer besser. Vielleicht hat mir das geholfen, den Boden unter den Füssen nie zu verlieren.


Was waren Sie für ein Kind?

Sehr, sehr sportverrückt. Mein Vater war und ist Lehrer in Langnau und liebt den Sport ebenfalls. Im Winter hatten wir im Garten immer ein Eisfeld, weil Eishockey in Langnau halt sehr populär ist. Ich spielte Handball, Volleyball, machte Leichtathletik, war immer draussen. Bloss in die Schule ging ich nicht sehr gerne. Zudem war ich eher spätreif, insbesondere im Vergleich zu meiner jüngeren Schwester. Ich war wohl das, was man eine Träumerin nennt. Einen grossen Sprung machte ich mit 13, als ich zu einer Gastfamilie nach Huttwil zog, ich wurde selbständiger und lernte relativ früh, für mich zu sorgen.


Sie sagten es: Langnau im Emmental ist ein Eishockeydorf…

… ja, klar, ich war oft bei Heimspielen der SCL Tigers. Früher, in den Freundebüchern, schrieb ich immer, dass ich Eishockeyspielerin werden möchte, bevor ich fand, dass Kleinkindererzieherin ganz lustig wäre. Aber Fussball ist auch in Langnau beliebt. Meine Schwester und ich pushten uns als Fussballerinnen sehr, sie hatte mehr Talent als ich, aber vielleicht weniger Biss und viele andere Interessen. Unsere Beziehung ist sehr eng. Sie lebte später mit mir in London, heute ist sie in Kolumbien. Kultur und Leben des Landes gefallen ihr, sie will sich dort etwas aufbauen. Im Frühling ging sie ohne Rückflugticket nach Südamerika, das bewundere ich sehr.


Wie ist Ihr Verhältnis zur Schweiz, zumal Sie seit neun Jahren im Ausland leben?

Es ist witzig, dass ich eigentlich kein Grossstadtkind bin. In den letzten fast zehn Jahren lebte ich aber zuerst in der Nähe von Berlin und jetzt in der Nähe von London. Ich mag es ruhig, wohne nicht Downtown. Ich liebe die Schweiz, die verschiedenen Jahreszeiten. Als Erwachsene lebte ich nie in der Schweiz, das möchte ich später auf jeden Fall erleben.


Und wann realisierten Sie, über richtig viel Talent als Fussballerin zu verfügen?

Eher spät. Mein Vater war der erste Trainer eines Mädchenteams in Langnau, aber das waren Mädchen bis 15 Jahre, und ich war damals erst 5, 6 Jahre alt. Ich ging in die Fussballschule, spielte dann mit den Buben ab den F-Junioren, voll die klassische Karriere. Ich spielte am Anfang auf allen Positionen, sogar als Torhüterin. Bei den U-14 war ich bei Bern-West immer noch mit den Jungs zusammen, auch in der U-16 bei YB war das so, eigentlich bis 17. Teilweise spielte ich mit Doppellizenz, also auch in Mädchenteams. Ich war das ganze Wochenende im Einsatz. Bei YB war ich mit vielen bekannten Spielern in der U-16, YBGoalie David von Ballmoos ist ja auch aus Langnau, aber auch Michael Frey oder Leonardo Bertone waren meine Mitspieler.


Der legendäre 1994-Jahrgang von YB.

Genau, auch Florent Hadergjonaj und Grégory Wüthrich gehörten dazu. Ich wurde als Mädchen immer gut behandelt und fühlte mich nie ausgestossen von den Buben, selbst wenn ich meistens das einzige Mädchen im Team war. So ab 15 Jahren machten sich dann körperliche Unterschiede bemerkbar. Die Jungs waren stets sehr fürsorglich; wenn ich gefoult wurde, waren sie sofort da und halfen mir. Ich wurde in den YB-Juniorenteams fast wie eine Prinzessin behandelt (schmunzelt). Der Trainer sagte mir übrigens damals, dass sich die Jungs viel anständiger benehmen würden, wenn ich im Training dabei sei.


Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Frauen im Fussball viel stärker mit den Männern verglichen als in anderen Sportarten?Im Ski würde nie jemand eine Fahrt von Lara Gut mit einer von Beat Feuz vergleichen.

Ich weiss es nicht, und ich habe diese Debatten satt. Es ist doch klar, dass Tempo und Athletik bei uns anders sind als bei den Männern. Wenn mandas schon vergleichen will, dann am ehesten deswegen, weil wir immer noch viel schlechtere Bedingungen haben. Und dabei geht es mir nicht einmal ums Geld.


Sondern?

Ich finde beispielsweise, in der Schweiz sollten sich die grossen Klubs viel stärker zum Frauenfussball bekennen. Das würde sie gemessen an den Gesamtausgaben nicht viel kosten. Ich verstehe zum Beispiel nicht, warum die Frauenteams in der NLA nicht auf den Hauptplätzen trainieren und spielen dürfen. In England ist man da ein paar Schritte weiter. Bei Arsenal hat es 14 Felder auf der Trainingsanlage, da können die Frauenteams auch auf den besten Plätzen trainieren. Das soll jetzt kein Jammern sein, weil mir klar ist, dass die Männer viel mehr Geld generieren und das Interesse an ihnen deutlich grösser ist. Ich habe aber selber erlebt, wie schwierig es für Frauen ist, unter diesen Bedingungen einen erfolgreichen Weg zu gehen.


Erzählen Sie von Ihrem Werdegang bei YB zu einer der begehrtesten Spielerinnen der Liga.

Als ich 15 war, spielte ich schon in der Schweizer U-17-Auswahl, mit 16 in der U-19. Heute sagen mir Mitspielerinnen von damals, dass sie immer wussten, dass ich einmal im Ausland spielen werde. An zwei U-20-Weltmeisterschaften, eine in Deutschland und eine in Japan, waren meine Leistungen ordentlich, ich hörte vom Interesse ausländischer Vereine, aber es war mir sehr wichtig, das KV in Bern abzuschliessen. Das tat ich mit 20.


Warum entschieden Sie sich dann für den Transfer nach Potsdam?

Weil es ein toller Verein ist, einer der grössten in Deutschland. Witzig war, dass es sehr knapp wurde mit meinen Noten im KV, weil ich viel Zeit in den Fussball investierte. Wäre ich durchgefallen, hätte ich den Wechsel ins Ausland um ein Jahr verschieben müssen. Es gab damals einige Interessenten, auch Bayern München, ich hörte auf mein Bauchgefühl. Im Übrigen war die Ausgangslage für mich schon anders als für einen 19-jährigen Fussballer, dort sind ganz andere Summen im Spiel, die einem den Kopf verdrehen können.


Wie viel verdienten Sie bei Potsdam?

Im ersten Jahr verdiente ich bei Potsdam ungefähr 1200 Euro im Monat, davon konnte ich knapp leben, aber ich wollte dieses Abenteuer erleben als Fussballerin im Ausland. Der Anfang in Potsdam war hart, meine Mutter blieb ein paar Wochen und machte sich grosse Sorgen um mich.


Weshalb?

Unser Trainer war Bernd Schröder, er war schon damals weit über 70 Jahre alt und pflegte einen DDR-Stil alter Schule. Er war brutal streng. Ich weiss nicht mehr, wie ich meine erste Vorbereitung bei Potsdam überlebte. Wir hatten wochenlang dreimal täglich harte Trainings. Meine Mutter dachte, dass mein Körper diese Strapazen nicht aushalten würde. Ob das ideal war, weiss ich nicht, aber ich lernte auf die harte Tour, Stresssituationen auszuhalten. Viele Spielerinnen, die zu jener Zeit bei Potsdam spielten, mussten ihre Karrieren leider früh beenden.


Wenn wir uns vorstellen, dass wir mit 20 in der Nähe der tollen Grossstadt Berlin gewohnt hätten, sind wir uns nicht sicher, ob wir den Fokus voll auf den Fussball hätten legen können.

(lacht) Nach den Trainings mit Bernd wären Sie zu kaputt gewesen, um auch nur daran zu denken, in den Ausgang zu gehen. Und wenn es mal einen freien Tag gab, erholte ich mich. Ich war keine begeisterte Partygängerin. Ich genoss aber natürlich die wunderbare Gegend, es hat viele schöne Seen rund um Potsdam. Und sowieso: Ich war als Fussballerin dort, machte nebenbei die Berufsmatur, begann später, Sportmanagement zu studieren. Es war eine gute, intensive Phase meines Lebens.



Unterschrift bei Arsenal


In Deutschland waren die Strukturen deutlich professioneller als in der Schweiz. Wie sehr nervt es Sie, geht es mit dem Frauenfussball in der Schweiz nicht schneller vorwärts?

Es gibt Momente, in denen ich tatsächlich sehr frustriert und genervt bin. Wir pushen den Frauenfussball seit Jahren, und ich bin dabei sehr ehrlich, das ist meine Art. Manchmal stösst man an Grenzen, wenn man monatelang um etwas kämpfen muss, beispielsweise um bessere Trainingsbedingungen, während bei den Männern ein Fingerschnippen genügt. Wenn ich aber zehn Jahre zurückblicke, stelle ich fest, dass sich strukturell sehr viel verändert hat. Wir sind auf dem richtigen Weg. Fakt ist aber auch, dass die Entwicklung in der Schweiz langsamer voranschreitet als in anderen Ländern.


Ein grosses mediales Thema im Frauenfussball ist die Sexualität. Es gibt viel mehr lesbische Fussballerinnen als schwule Fussballer, wobei man wohl sagen könnte: Fussballer stehen weniger zu ihrer sexuellen Ausrichtung.

Ein grosses Thema, ein spannendes Thema, aber auch ein Thema, bei dem es viel um Tabus geht. Ganz grundsätzlich ist es sicher so, dass man im Frauensport anständig und offen zueinander ist. Hört sich klischeehaft an, und ich hasse Klischees, aber so ist es nun einmal, das ist die Basis für die Entwicklungen in diesem Bereich. Ich bin schwer davon überzeugt, dass es wichtig ist, offen über seine Sexualität zu sprechen.


Was aber im Männerfussball nicht der Fall ist, weil es weltweit nur zwei, drei Spieler gibt, die sich während ihrer Karriere dazu bekannt haben, schwul zu sein.

Im Männerfussball besteht eine Unsicherheit, was passiert, wenn beispielsweise ein prominenter Fussballer zu seiner Homosexualität stehen würde. Es ist traurig, muss man sich 2022 noch solche Gedanken machen. Es verlieben sich so viele Menschen an ihrem Arbeitsplatz, da kann es nicht sein, dass das im Männerfussball total anders ist. Ich schätze es sehr, herrscht im Frauenfussball eine offene Kultur, zum Beispiel wenn es um Sexualität geht. Wir hören auch oft, dass lesbische Spielerinnen Vorbilder seien, weil sie anderen Frauen Mut geben, zu ihrer Sexualität zu stehen.


Vielleicht sind auch die Begrifflichkeiten ein Problem. Ich oute mich auch nicht, wenn ich heterosexuell bin.

Absolut, das hat so einen negativen Touch. Ich bin aber auch nicht naiv. Fans im Männerfussball können besonders primitiv sein. Ich war in Berlin mal an einem Spiel der Hertha gegen RB Leipzig, da wurde Leipzigs damaliger Stürmer Timo Werner die gesamte Spielzeit über beschimpft und ausgepfiffen, bloss weil ihn die Hertha-Fans nicht mochten. Der Männerfussball ist noch kein sicherer Ort für einen schwulen Spieler, er scheint leider noch nicht bereit dafür zu sein.


Wir kennen schwule Fussballer, die Angst haben vor den Reaktionen der Fans und der Öffentlichkeit.

Das ist nicht ausschliesslich ein Problem des Fussballs. Es gibt leider in unserer Gesellschaft immer noch zu viele Menschen, die nicht aufgeklärt sind, vielleicht auch nicht intelligent genug, um die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Für mich ist das schwierig zu verstehen, weil ich im Frauenfussball in einem sehr offenen Klima lebe. Es herrscht eine grosse Toleranz, wir gehen total normal damit um. Das beginnt schon bei der Frage. Es heisst nicht: «Hast du einen Freund?» Sondern: «Hast du einen Partner?»


Partner ist aber auch männlich.

Auf Englisch nicht, da ist es neutral. Und dann folgt nicht sofort die Nachfrage, ob man mit einem Mann oder einer Frau zusammen sei, sondern, ob man in einer Beziehung sei. Man kann als Eltern übrigens bei der Erziehung sehr viel steuern. Meine Gotte setzt sich für Frauenrechte ein, und ihren Kindern sagt sie zum Beispiel nicht, diese würden später einmal einen Freund oder eine Freundin habe. Sie spricht davon, dass es jemanden im Leben geben werde, mit dem man zusammen sei. Ich werde meine Kinder auch so erziehen, weil man ihnen früh erklären kann, dass es eben nicht nur eine Art von Sexualität gibt. Aber natürlich ist die Kultur, in der man aufwächst, entscheidend.


Empfänden Sie es als übergriffig, wenn man Sie fragen würde, ob Sie Männer oder Frauen lieben?

Ich möchte in der Öffentlichkeit als Fussballerin wahrgenommen werden. Die Sexualität darf dabei keine Rolle spielen. Man sah aber die positive Resonanz, als sich die beiden Schweizer Nationalspielerinnen Ramona Bachmann und Alisha Lehmann als Liebespaar präsentierten, das war wichtig für ganz viele Frauen, die sich nicht trauten, zu ihrem Lesbischsein zu stehen. Ich habe kein Problem damit, wenn ich Ihnen sage, dass ich in meinem Leben Beziehungen zu Männern und Frauen hatte. Ich bin da sehr offen und stehe dazu.


Die Triathletin Daniela Ryf sagte in einem SPORTLERIN-Interview, sie sei bisexuell, was den Vorteil habe, dass die Auswahl an potenziellen Partnern doppelt so gross sei. So kann man auch spielerisch mit diesen Fragen umgehen.

Klar, das ist eine coole Aussage. Es stört mich halt, wenn man Fussballerinnen darauf reduziert, lesbisch zu sein. Einen Fussballer fragt man auch nicht, ob er mit einer Frau oder einem Mann zusammenlebe.


Wir stellen uns vor, dass es im Männerfussball kompliziert wäre, hätte es Liebespaare in einem Team. Warum?

Es gibt doch in jedem Unternehmen Paare, die sich kennen lernen und verlieben und wieder trennen. In England verbringe ich fast die gesamte Zeit mit unserem Team, gehe kaum weg, treffe also nicht viele andere Menschen, zuletzt gab es auch noch Corona, wir waren oft zu Hause. Mir kann niemand sagen, dass es nicht auch in Männer-Fussballteams Paare gibt, das ist ja nur schon rein statistisch unmöglich. Wie gesagt, im Frauenfussball geht man einfach entspannt damit um. Da hat man eine Beziehung zu einer Frau, trennt sich, verliebt sich in einen Mann. Das sollte doch alles ganz normal sein.


Die Schweizer Nationalspielerin Alisha Lehmann hat auf Social Media insgesamt weit über 10 Millionen Follower, sie ist ein weltweiter Brand, verdient viel Geld. Sie lebt mittlerweile mit einem Fussballer zusammen, der ebenfalls bei Aston Villa spielt. Und sie postet zum Beispiel auf Instagram viele Bikini-Bilder, reduziert sich so gesehen auf ihren attraktiven Körper. Finden Sie das gut?

Es spielt keine Rolle, ob ich das gut finde. Für mich würde das nicht passen, ich selber poste eher selten solche Bilder, vielleicht ab und zu in den Ferien. Es gibt aber keine Regeln, wie man sich verhalten und verkaufen soll auf Social Media. Alisha ist erfolgreich, es muss für sie stimmen, und es funktioniert für sie. Sie wird ausgesorgt haben, wenn sie einmal nicht mehr Fussballerin sein wird.


Sex sells – das Erfolgsmotto auf Social Media.

Wohl nicht nur dort. Ich möchte als Fussballerin bekannt sein, das ist mein Anspruch. Und leider ist die Welt noch nicht so, wie sie idealerweise wäre, wenn man Frauen immer noch so stark auf ihren Körper und ihr Aussehen reduziert.


Alisha Lehmann verzichtet auf die EM-Teilnahme und nannte mentale Probleme dafür. Haben Sie Verständnis für ihre Entscheidung? Und ist es vielleicht sogar besser für das Nationalteam, weil sie viel Aufmerksamkeit generiert hätte und sowieso nicht Stammspielerin war?

Bei ihr wird halt immer aus jeder Kleinigkeit ein Riesending gemacht. Oft hat das nichts mit Fussball zu tun. Ich akzeptiere ihre Entscheidung und ihren Weg, konzentriere mich aber auf jene Spielerinnen, die dabei sind. Die EM ist ein grosses Turnier, der Fokus muss zu 100 Prozent darauf liegen. Es ist fairer, vor einem Turnier klar zu sagen, was Sache ist. Das hat Alisha getan.


Der bekannte Kabarettist und Autor Bänz Friedli sagt gerne, Frauen würden den besseren Fussball zeigen, er sei fairer und schöner, die Spielerinnen seien intelligenter. Wir haben auch den Eindruck, dass in Gesprächen mit Fussballerinnen oft mehr herauskommt als bei Männern.

Frauenfussball ist einfach anders. Man kann und soll es nicht vergleichen. Junge Fussballer erhalten schon mit 17, 18 Jahren das Gefühl, sie seien etwas Besonderes. Da schützt man sich automatisch stärker. Ich beobachte das bei Arsenal, wenn ich die Spieler des Männerteams sehe, wie sie angehimmelt werden, was sie verdienen. Es ist nicht immer einfach, damit umzugehen.


Granit Xhaka spielt ebenfalls bei Arsenal im zentralen, defensiven Mittelfeld, er ist auch Captain des Schweizer Nationalteams. Wie ist der Austausch mit ihm?

Die Arsenal-Spieler sind jeden Tag im Gym, da sehen wir uns, mit Granit spreche ich auch sonst regelmässig. Ich mag ihn sehr und habe grossen Respekt, wie ehrlich er durchs Leben geht. Er eckt an, weil er selbstbewusst ist und sich treu bleibt. Ich bin anders, zurückhaltender auch, aber Granit hat mit seinem Weg sehr viel erreicht, gerade mit der Schweiz. Er behandelt die Arsenal-Spielerinnen immer anständig, auch daran erkenne ich, dass er ein guter Kerl ist. Und es ist ja klar, dass wir uns auch immer wieder austauschen über die Nationalteams, unsere Karrieren, unser Leben.


Sie sagten, Sie seien kein Grossstadtmensch. Wie ist das Leben in London?

Herrlich. Ab und zu gehe ich in die Innenstadt, aber London bietet auch ausserhalb des Zentrums sehr viel. Ich wohne in Nordlondon, nahe des Arsenal-Trainingszentrums. Generell ist mein Tag ziemlich voll, ich studiere ja noch seit zwei Semestern Betriebsökonomie und Sportmanagement und habe sonst zwei, drei Projekte, die noch nicht spruchreif sind. Von den Engländern bin ich begeistert, sie sind freundlich und unkompliziert. Ich werde oft gefragt, ob mich das Wetter nicht störe, aber so schlimm ist das gar nicht. Und wenn wir schon Klischees widerlegen: Das Essen ist grossartig, zumal es in London so viele internationale Restaurants gibts.


Und was vermissen Sie am meisten?

Meine Familie. Es ist mir enorm wichtig, ständig Kontakt mit ihnen zu haben. Am Anfang vermisste ich Aromat, aber das hat sich gelegt. Das Brot in England ist nicht so gut wie in der Schweiz, da sind wir zu Hause schon sehr verwöhnt. Und, ja, Schweizer Käse fehlt mir immer.


Wie lebt es sich finanziell als Fussballerin eines englischen Topklubs?

Ich habe für eine Arbeit in meinem Studium gerade recht intensiv die Löhne im Frauenfussball recherchiert. Hier in England verdient man in der obersten Liga ordentlich, aber man wird nicht reich. Ich erhalte ungefähr einen urchschnittslohn im Schweizer KVBereich. Für mich passt das, ich kann mir eine anständige Mietwohnung leisten, ab und zu in die Ferien gehen. Aber ich werde nach meiner Karriere natürlich weiterarbeiten müssen.


Sie werden nächstes Jahr 30 Jahre alt. Welche Ziele und Träume verfolgen Sie noch? Möchten Sie einmal in den USA spielen?

Aktuell bin ich zufrieden bei Arsenal, ich spiele in der besten Liga der Welt. Ich sage immer, dass ich es schön fände, später noch in einem Land zu spielen mit einer neuen Sprache für mich. Vielleicht also in Spanien oder in Italien, oder ich könnte in Frankreich mein Französisch verbessern. Es wird am Ende eine Art Lifestyle-Projekt geben an einem schönen Ort. Das kann auch in Australien sein oder in den USA, etwa in Kalifornien oder in Florida. Mein Vertrag bei Arsenal läuft aber noch ein Jahr, es gefällt mir, ich habe keinen Stress.


Welches Standing hat der Frauenfussball denn in England?

Die Medien berichten relativ viel, sie pushen ihre eigenen Spielerinnen, die auch oft in in der Werbung zu sehen sind. Da ist einiges gegangen, was aber gleichzeitig auch bedeutet, dass der Druck gestiegen ist, die Leistungen werden auch kritisch betrachtet. Die Liga war letzte Saison sehr spannend, wir spielten mit Arsenal sehr gut, verloren in 22 Begegnungen nur einmal. Am Ende hatte Chelsea leider einen Punkt mehr. Und die EM im Sommer wird den Frauenfussball in England noch besser positionieren.


In diesem Sommer bestreiten Sie Ihr 100. Länderspiel. Was bedeutet Ihnen das?

Es ist eine unglaubliche Zahl. Es macht mich unheimlich stolz, schon so oft für unser Land aufgelaufen zu sein. Als wir uns erstmals für eine WM qualifizieren konnten, war das ein grosser Moment. Und ich werde mich auch immer an unser erstes WM-Spiel 2015 in Kanada erinnern, obwohl wir in Vancouver 0:1 gegen Japan verloren. Aber die Reise geht weiter, wir haben noch viel vor mit der Schweiz.


Was ist Ihr Ziel an der EM in England?

Wir müssen über uns hinauswachsen, als Team und auch individuell, dann können wir in dieser starken Gruppe weiterkommen. Gegen Holland und Schweden muss viel zusammenpassen, damit wir gewinnen können, gegen Portugal sind wir nicht Aussenseiter. Persönlich ist es mein Ziel, ein guter Captain zu sein, auf und neben dem Rasen.


Granit Xhaka sagt vor grossen Turnieren stets, er packe bis zum Final. Wie ist das bei Ihnen?

Dann sollte das der Captain des Frauenteams wohl auch sagen, was? Das wäre eine gute Schlagzeile. (lacht) Granit und ich sind sehr unterschiedliche Typen. Würde ich so etwas sagen, könnte ich es selber nicht ernst nehmen. Was aber stimmt: Man nimmt genügend Unterwäsche mit für die ganze Zeit, also packe ich theoretisch sowieso bis zum Final.


Wie sehen Sie die Entwicklung des Nationalteams?

Wenn alle Spielerinnen dabei sind, haben wir eine starke erste Elf. Im Vergleich zu anderen Nationen fehlt ein wenig die Breite auf hohem Niveau, aber die Schweiz ist ein kleineres Land. Vor ein paar Jahren trat die Generation um Lara Dickenmann zurück, nun drängen einige tolle Talente nach, die aber teilweise noch Zeit benötigen. Für mich ist es spannend, diese Spielerinnen zu begleiten.


Das Nationalteam wird seit 2019 von einem Mann, Nils Nielsen, gecoacht. Macht es für Sie einen Unterschied, ob eine Frau oder ein Mann an der Seitenlinie steht?

Es gibt keinen, es geht um Fussball. Witzigerweise war ja vor Nils mit Martina Voss-Tecklenburg eine Frau unsere Trainerin, die sehr tough und streng war. Nils dagegen ist eher ruhig. Wir können aber auch mit scharfer Kritik umgehen, das gehört dazu.


Murat Yakin, der Coach des Schweizer Männerteams, meinte in einem Interview mit SPORTLERIN, es werde noch lange dauern, bis eine Frau ein Männerteam auf höchstem Niveau trainieren werde. Wie sehen Sie das?

Da bin ich bei ihm. Das ist ähnlich wie vorhin bezüglich Sexualität. Der Männerfussball ist noch nicht so aufgeschlossen und so tolerant, wie es wünschenswert wäre. Aber es sind die kleinen Schritte, die wichtig sind. Mittlerweile gibt es Schiedsrichterinnen auf hohem Niveau, es gibt mehr Frauen in den Fussballverbänden und in den

Sportmedien. Und der Frauenfussball wird weiter wachsen. Es wird also immer mehr Trainerinnen geben, sie werden kompetenter ausgebildet sein, bessere Chancen erhalten. Das ist ein Prozess, der gerade erst begonnen hat.


Fabian Ruch spielt selber Fussball, seit er 5 Jahre alt ist. Ein paar Jahrzehnte später ist er wie Lia Wälti im zentralen ittelfeld aktiv. Er mochte Zinédine Zidane als Bub nicht, auch Joshua Kimmich ist heute eher nicht sein Favorit. Seine ieblinge sind Brasilianer. Einst Zico und Ronaldo, heute Neymar und Philippe Coutinho (zum Beispiel). Er ist Berner – und hat in all den Jahren in Langnau nie ein Fussballspiel gewonnen.


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