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«Mehr als eine Frisur»

Steffi Buchli ist die bekannteste Frau im Schweizer Sportjournalismus. Im Gespräch spricht sie über ihre steile Karriere, über ihre Rollen als Anchor in Rio, Gesicht von SRF und Winkelried für arbeitende Mütter. Es geht um Haare und Ehrgeiz, Shitstorms und Atemübungen. Und die 42-Jährige verrät, was sie als Sportchefin beim «Blick» ab Januar vorhat – als natürlich erste Frau in der Geschichte des Boulevardblatts in dieser Funktion.


Fabian Ruch im Gespräch mit Steffi Buchli



Geben Sie gerne Interviews?

Ja, weil ich selber Journalistin bin und gerne beobachte, wie jemand vorgeht. Sie sind also unter Druck (schmunzelt). Was ich gar nicht mag: Interviews, in denen es um meine Frisur geht…


… das wäre die zweite Frage gewesen…

… ah, hoppla! Und schwierig ist auch, wenn nur meine Rolle als voll arbeitende Mutter in den Medien thematisiert wird. Ich nehme an, das wäre die dritte Frage gewesen.


Nein, da würde es noch einmal um die Frisur gehen. Werden Sie wirklich so oft auf Ihre Haare reduziert?

Ja, es ist tatsächlich erstaunlich, weil ich ja nicht wie Sascha Lobo rumlaufe. Klar liege ich ausserhalb der Norm, und vielleicht ist es eine Art Eisbrecher im Gespräch.


Gab es sogar Grenzüberschreitungen?

Ich kann es nicht leiden, wenn ich unterschätzt werde und es zum Beispiel heisst, ich hätte meinen Job bei MySports nur bekommen, weil mein Mann Florian Kohler als früherer Manager beim Schweizerischen Eishockeyverband in der Szene einflussreich sei. Das trifft mich, das ist ein Affront, weil ich in über 15 Jahren im Sportjournalismus Spuren hinterlassen habe. Es stört mich als Mensch, wenn meine Leistung nicht anerkannt wird. Als Feministin sind solche Erfahrungen ein Ärgernis.


Sie sind Feminstin?

Und wie! Für viele mag das ein Reizwort sein, ich interpretiere es positiv. Es hiess auch schon, ich sei ein Winkelried der arbeitenden Mütter. Das bin ich sehr gerne, wenn es der Sache dient. Ich erhalte oft Mails von Frauen, die sich bedanken, weil ich über diese Themen rede, über Muttersein und Karriere. Solange das immer noch nicht akzeptiert ist, haben wir leider viel zu tun.


Wie ist es für Sie im Vergleich zu 2010 im von Männern dominierten Sportjournalismus?

Es ist besser geworden. Sprüche, die damals ungestraft gesagt werden durften, gibt es heute kaum mehr. Es gab früher viele Redaktionssitzungen, in denen halt mal ein Mann sagte: «Lasst uns Beachvolleyball bringen. Ein bisschen Füdli geht immer.» Am meisten nervt mich, dass ich damals nicht aufstand und sagte, das gehe so nicht. Ich liess den Bubenklub gewähren.


Und lachten womöglich sogar mit.

Ja, genau, dafür schäme ich mich. Aber es waren andere Zeiten, und ich war jung und unsicher. Wenn jemand solche Sprüche macht, ist sein Horizont sowieso eher beschränkt. Die ganze MeToo-Debatte hat den Männern gezeigt, dass gewisse Linien nicht mehr überschritten werden dürfen. Ich selber fand später glücklicherweise immer einen Weg, dank meiner frechen Schnurre einen Konter anzusetzen und klarzustellen: Bis hier – und nicht weiter. Das gelingt leider nicht jeder Frau.


Haben Sie bestimmte Mechanismen entwickelt, wenn Sie in unangenehme Situationen geraten?

Burschikos geht immer. Frech sein, sich wehren, kühl bleiben. Aber, hey, ich bin heute 42, ich könnte die Mutter von einigen Sportlern sein, die Ebene hat sich verändert. Und eben: Dank MeToo ist es nicht mehr so ein unangenehmer Eiertanz. Viele Männer finden, es sei schwierig geworden, Komplimente zu verteilen oder zu flirten. Das ist absurd. Mit gesundem Menschenverstand weiss jeder, was möglich ist. Ein Kompliment für ein Kleid liegt drin, aber auf die Brüste gucken und einen dummen Spruch machen, das ist peinlich.


Sie erwähnten Ihr Alter. Wie lautet das Fazit in der Mitte Ihres Arbeitslebens und vor dem Wechsel als Sportchefin zum «Blick» Anfang Januar?

Hell of a ride! Es war eine extrem coole Zeit. Ich habe den Rucksack gefüllt, ich habe ein breites Netzwerk, fühle mich kompetent und selbstbewusst. Und die Medien sind ein sehr dynamisches Umfeld, das hält mich wach. Ich bin heute mehr auf den Zehenspitzen unterwegs als zu meiner Zeit beim Schweizer Fernsehen. Weil ich als Programmchefin bei MySports in den letzten Jahren unternehmerischer denken musste und Führungsaufgaben übernahm. Ich bin nicht mehr die junge Frau am Sitzungstisch, die unbedarft und mutig die Welt erobern will.


Sie haben eine beachtliche Karriere in der Medienwelt hingelegt. Wovon träumten Sie mit 20?

Nach der Matur ging ich nicht an die Universität, weil ich den Eltern nicht zu sehr auf der Tasche liegen wollte. Ich war bei der UBS, absolvierte parallel eine Ausbildung in Wirtschaft und Recht, spürte aber bald: Banking ist mir zu langweilig. Nach einem Praktikum bei Radio Zürisee wusste ich: Medien, wow, das ist cool, das ist spannend. Ich lebte aber lange immer im Moment und machte keine grossen Pläne. Es ergab sich vieles, Schritt für Schritt. Mein Weg beim Schweizer Fernsehen ist das beste Beispiel.


Inwiefern?

Ich begann als Redaktorin, nicht als Moderatorin. Irgendwann gab es ein Casting, Freunde ermunterten mich, mitzumachen. Dann kam die erste Sendung, und da entdeckte ich meinen Ehrgeiz. Ich setzte mir zum Ziel, eine der Besten zu werden. Und am Ende konnte ich hinter fast alles einen Haken setzen, ich war bei Olympischen Spielen, bei Eishockey- und Fussball-Weltmeisterschaften, ich war Gastgeberin der Sport Awards, einzig das Sportpanorama durfte ich leider nie moderieren. Dennoch: Ich hatte es nach 13 Jahren gesehen, ich wollte Neues erleben. So funktioniere ich. Bei MySports habe ich als Programmchefin quasi eine neue Karriere gestartet, musste mich neu beweisen, wieder hart arbeiten, das treibt mich an.


Warum hatten Sie genug vom Schweizer Fernsehen?

Es gab so viele schöne Momente dort, den besten hatte ich 2016 als Anchor an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro. Arbeitsort Ipanema, besser geht nicht. Der Zürichsee ist auch nett, aber das war einfach unvergleichlich. Ich spürte damals: Das ist mein olympisches Schlussbouquet, ich muss weiter. Also zog ich alles rein, genoss jede Minute und war gleichzeitig auf der Suche nach dem nächsten Schritt. Das war fast schizophren. Ich bin diesbezüglich eine Getriebene. Was hätte denn nach Rio noch kommen sollen? Pyeongchang 2018? Es wiederholte sich alles. Das reizte mich nicht.


Was sagt diese Getriebenheit über Sie und Ihre Suche nach Anerkennung aus?

Ich bin, zumindest beruflich, schon jemand, der nicht zur Ruhe kommen kann und will. Es muss immer etwas gehen, ich muss Visionen haben und Projekte. Dann bin ich in Höchstform. In gewisser Weise ist das ein Streben nach Anerkennung, klar, aber nicht nach Zuschauerklatschen oder so. Ich will vor allem mir selber beweisen: Da geht noch mehr. Es hat etwas Sportliches: immer höher, schneller, weiter. So war ich auch als Unihockeyspielerin. Obwohl ich nicht übermässig talentiert war, spielte ich beim besten Schweizer Verein Rychenberg, zwar nur in der dritten Linie, aber es war für mich eine gewaltige Challenge, den Sprung ins Team zu schaffen. Ich liebe diesen Wettkampfgeist.


SRF ist ein grosses Haifischbecken, mit Eitelkeiten, mit Gockeln und Neidern und Hahnenkämpfen. Wie gelang es Ihnen, sich dort so stark zu behaupten?

Das waren wirklich teilweise krasse Erfahrungen. Da wird die ganze Klaviatur des Machtkampfes gespielt, vom Hintenrumreden bis zur offensichtlichen Blutgrätsche. Das war die beste Lehre für meine Karriere, mich kann nichts mehr überraschen. Das half mir auch bei MySports, als ich in einem internationalen Umfeld arbeitete, in dem mich kaum jemand kannte.


Erzählen Sie von den Blutgrätschen.

Am Anfang beim Fernsehen hatte ich nur Freunde. Wenn du neu bist, mögen dich alle, weil du erst mal keine Gefahr darstellst. Aber je mehr Landgewinne du machst, umso gefährlicher wirst du für die arrivierten Personen. Das ist übrigens in jedem Betrieb so. Ich wurde dann auch persönlich enttäuscht und realisierte, dass man sich nur auf die Familie und den engsten Kreis an Freundinnen und Freunden verlassen kann. So funktioniert das Leben.


Wie speziell war es für Sie als Frau inmitten von TV-Sonnenkönigen, zumal Sie ja auch Allianzen schmieden mussten?

Das musste ich lernen, das brauchte Zeit. Aber der Wille zum Weiterkommen war stärker als die Hemmungen, mir diese Methoden anzueignen. Ich schickte mich rein, es hat Spass gemacht, weil ich merkte: Hey, das funktioniert, ich kann auch netzwerken. Ich beobachtete das männliche Verhalten, kopierte es und freute mich diebisch darüber, wenn es klappte. Frauen müssen leider immer noch oft männliche Muster übernehmen, um in einem männlichen Umfeld weiterzukommen.


Wie meinen Sie das?

Klassisches Networking liegt eher in der männlichen DNA. Ich weiss, damit bediene ich ein Klischee, doch ich rede aus Erfahrung. Am Stammtisch kann und will ich als Frau irgendwann nicht mehr mithalten unter lauter Männern, wenn die Sprüche zu machoid werden oder wenn die Zigarren ausgepackt werden. Also muss man subtiler vorgehen, wobei ich nie aus billigem Kalkül Dinge machte. Doch ohne ähnliche Muster wie die Männer zu entwickeln, wäre ich immer die liebe, lustige, nette Steffi geblieben, die ein bisschen Sendungen moderiert.


Was sagt es denn über den Sportjournalismus aus, dass immer noch 95 Prozent der Medienvertreter männlich sind?

Das ist bitter. Bei MySports war ich bei vielen Anstellungen involviert. Aber es war nicht einfach, weil sich gar nicht viele Frauen auf ausgeschriebene Stellen bewarben. Und wenn eine Frau die Qualität für einen Job nicht hat, bringt es nichts, sie anzustellen, weil man sonst der gesamten Bewegung schadet. Frauen haben gegenüber dem Sportjournalismus leider immer noch eine grosse Berührungsangst.


Wie lässt sich das ändern?

Es muss ein komplettes Umdenken stattfinden, das geht nicht von heute auf morgen. Wie schaffen wir es, dass ein Mädchen sagt: «Ich will die beste Sportjournalistin oder die beste Programmiererin der Welt werden?» Wir müssen Stereotype durchbrechen. Meine kleine Tochter meinte kürzlich bei uns zu Hause, als etwas in der Küche kaputtging: «Wann kommt der Mann und flickt es?» Ich antwortete, der Mann oder die Frau würden bald kommen. Ich versuche, ihren Kopf dahingehend zu prägen, dass eine Frau alles sein kann, was sie will.


Sie wirkten vor der Kamera immer stark und souverän. Gab es Momente, in denen Sie an sich zweifelten oder gar Versagensangst hatten?

Klar. Lustigerweise aber war ich am weitesten von einem Stresszustand entfernt, als ich die grossen Kisten bei SRF moderierte. Die Belastung war sehr heftig, aber sie war kurz. Nach einer Sendung konnte ich die Moderationskarten wegwerfen, die nächste Aufgabe wartete. Bei MySports war das anders. Ich arbeitete monatelang unter Hochdruck, nahm plötzlich Probleme und Sorgen mit nach Hause. Da kam ich an meine Belastungsgrenze. Einmal wurde ich krank und fiel in einen 48-Stunden-Tiefschlaf, das war ein Warnzeichen.


Wie reagierten Sie darauf?

Ich musste mich disziplinieren und mir Regeln auferlegen. Wenn unsere Tochter im Bett war, nahm ich nicht jedes Mal den Laptop hervor und arbeitete noch zwei Stunden weiter. Nach meinem Exit bei MySports hatte ich erstmals in meinem Arbeitsleben eine längere Pause. Da fiel der ganze Druck von mir ab, ich fuhr zehn Tage alleine an den Gardasee, sprach wohl 100 Wörter in der gesamten Zeit und fuhr den Körper total runter. Das war eine krasse Erfahrung und zeigte mir, dass man aufpassen muss. Ich lerne immer besser, auf die Signale des Körpers zu hören.


Und wie war das mit dem Druck, als so viele Menschen vor dem TV zuschauten, wie Sie bei den Sport Awards durch den Abend führten?

Das waren Extremsituationen. Bis drei, vier Minuten vor der Sendung war ich quirlig und übermütig drauf, das muss für die anderen unerträglich gewesen sein. Dann, kurz vor Rotlicht, machte ich Atemübungen und kam so in einen Zustand extremer Konzentration. Ich entwickelte über die Jahre Strategien. Lange Zeit war es eine Schwäche von mir, dass ich jeweils die Einstiege verbockte, weil ich die ganze Sendung im Kopf hatte. Bis ich mich darauf konzentrierte, nur an die erste Moderation zu denken, an die ersten sieben Sätze. Und dann schauen wir mal, wie es weitergeht. Lampenfieber hatte ich nie, bloss krasse Adrenalinschübe. Und die brauchst du, um Präsenz zu haben. Okay, dem Magen ging es in den ersten Minuten einer Sport-Awards-Show schon nicht top, aber das legte sich jeweils bald.


Sie führten jahrelang ein Leben in der Öffentlichkeit, wurden in den Medien für Ihre Arbeit bewertet. Wie gingen Sie damit um?

Ganz ehrlich: Ich schaute immer jedes Ranking genau an und war sauer, wenn ich schlecht abschnitt. Wobei mir bewusst war: Ich werde so eine Bewertung nie gewinnen, weil ich als Person polarisiere, ich bin und war nie die Traumschwiegertochter. Dennoch ärgerte es mich, wenn ich hart kritisiert wurde für Dinge, die nichts mit meiner Arbeit zu tun haben. Und damit wären wir wieder bei meinen Frisuren und meiner Rolle als arbeitende Mutter. Ich dachte dann immer: Sind wir wirklich nicht weiter in diesen Themen? Mein Wunschtitel des Interviews ist jedenfalls: «Mehr als eine Frisur!»


Worauf führen Sie es denn zurück, gingen gerade Frauen nicht immer zimperlich mit Ihnen um?

Ich hätte mir mehr Solidarität von Frauen erhofft. Zumal unser Familiensystem nur meinen Mann und mich etwas angeht. Ich versuchte stets, mich auf die erfreulichen Feedbacks zu konzentrieren. Ich gehe gerne an jede Podiumsdiskussion, zu der ich eingeladen werde, oder äussere mich in Interviews und Podcasts zum Thema Frauen und Karriere. Es gibt noch viel zu tun, weil die Norm in der Schweiz zu eng gefasst ist. So, wie ich mein Leben führe, bin ich offenbar eine Bedrohung für gewisse Frauen und ihre Lebensweise. Das ist schade. Mein Credo ist: Leben und leben lassen. Jeder soll so leben, wie er oder sie es für richtig hält. Ich persönlich bin glücklich mit Familie und Karriere, dazu stehe ich. Ich brauche Ziele als Ansporn.


Waren Sie schon als Mädchen so?

In der Schule leider nicht (lacht), da war ich eher genügsam. Aber ich hielt gerne Vorträge, war oft Klassensprecherin, wobei ich eine gesunde Schüchternheit hatte. Ich war nicht extrem selbstbewusst, aber locker und geerdet.


Sie waren in einigen Bereichen eine Pionierin, gingen unbeirrt Ihren Weg. War das für Sie immer alles selbstverständlich?

Natürlich nicht. Zum Glück wusste ich nicht, was ich da mache. Aber ich habe eine perfektionistische Art, jeder Versprecher nervte mich tierisch. Wenn ich mir zu sehr überlegt hätte, dass da gerade eine Millionen Menschen vor dem TV zuschaut, was ich mache, hätte mich das bestimmt gestresst. Ich war als Host bei SRF in den Wohnzimmern aller Schweizerinnen und Schweizer, das ist eine verrückte Vorstellung. Doch in diesen Momenten war ich mit ganz wenigen Leuten im Studio und erledigte einfach meinen Job. Mein engstes Umfeld behandelte mich zudem immer als Steffi, wie früher, da wurde ich nicht auf den Sockel gehoben, nur weil ich bekannter oder berühmter als andere bin.


Nicht alle Schlagzeilen über Sie waren positiv. Wie gingen Sie mit den Shitstorms um?

Ich entwickelte eine Routine im Umgang mit ihnen. Es gab aber immer wieder Momente, die total mühsam waren. Als meine Frisur wochenlang thematisiert wurde nach einer Sports-Awards-Sendung. Es war eine vielleicht etwas dramatische Tolle, klar, aber ich fragte mich in dem Moment schon: Leute, was läuft falsch mit euch, was schreibt ihr so viele Texte über eine Frisur? Das nahm bizarre Züge an. Bei «20 Minuten» gab es ein Tool, wo man sein Foto raufladen und meine Frisur draufsetzen konnte. Der «Blick» schlug mir sieben andere Frisuren vor, so ging das immer weiter. Und das notabene nach einer zweieinhalbstündigen Livesendung ohne Prompter, die ich fehlerfrei über die Bühne brachte.


Besonders hässlich wurden Sie attackiert, als Sie kurz nach der Geburt Ihrer Tochter wieder arbeiten gingen.

Ich erschrak über den Hass in den Kommentaren über mich. Wie wir unsere Familie organisieren, geht eigentlich niemanden etwas an. Ich ging halt nach dem gesetzlichen Mutterschaftsurlaub wieder arbeiten, weil ich das wollte. Eigentlich wollte ich die Berichte gar nicht lesen, aber ich erhielt von Freunden immer wieder Screenshots von Kommentaren auf Social Media, die völlig unter die Gürtellinie gingen. Ich konnte mich nicht davor verschliessen und musste diese öffentliche Debatte akzeptieren.


Täuscht der Eindruck, dass Sie sich nach Ihrem Abgang beim Schweizer Fernsehen ein wenig aus der Öffentlichkeit zurückzogen?

Mag sein. Die Journalisten der Unterhaltungsmedien stellten wohl fest, dass ich doch nicht so viel von mir preisgebe. Meinen Mann gibt es nicht, meine Tochter ohnehin nicht, die Homestorys waren gemacht. Zuletzt war ich eher gefragt, wenn es um Sportrechte oder Pay-TV-Modelle ging. Das gefällt mir, ich bin irgendwie relevanter geworden.


Als «Blick»-Sportchefin werden Sie wieder stärker im Fokus stehen. Können Sie eigentlich schreiben?

Ach, ich mag provokative Fragen. Natürlich kann ich schreiben. So viele Texte von mir findet man nicht im Internet, als dass Sie dies überprüfen könnten. Viele Leute vergessen aber, dass wir alle Moderationen und Beitragstexte selber schreiben. Schreiben ist mein Beruf. Aber nicht nur. Meine Ernennung zur Sportchefin zeigt sicher auch, in welche Richtung die Branche geht.


Online first und Digitalisierung. Ist Print tot?

Ich hoffe es nicht. Solange Zeitungen gedruckt werden, an den Kiosken und in den Briefkästen liegen, müssen sie mit den allerhöchsten Ansprüchen produziert werden. Aber für mich ist klar: Irgendwann wird Print tot sein.


Ihr Vorgänger Felix Bingesser schrieb viele Kommentare, gerade in der Königssportart Fussball, die für den «Blick» enorm wichtig ist. Sie sind im Eishockey zu Hause…

… halt, halt, mein Sportinteresse ist sehr breit. Und im Fussball hat der «Blick» viele Experten, da muss ich mich nicht vordrängen. Aber es wird Momente geben, in denen meine Haltung in einer Fussball-Story gefragt sein wird. Beim «Blick» sind kurze, pointierte Texte wichtig, das reizt mich. Ein 20-seitiges Essay zu schreiben, das ist einfacher, als in 50, 60 Zeilen auf den Punkt zu kommen. Als Boulevardmedium muss man den Mut haben, die Faktoren X, Y und Z wegzulassen und zu verknappen. Das ist faszinierend und herausfordernd.


Der «Blick» steht auch für Kampagnenjournalismus. Nicht immer gelingt das, Fussball-Nationaltrainer Vladimir Petkovic wurde in den letzten Jahren oft unfair attackiert. Sie selber waren deswegen im Herbst schon bei Krisenmeetings zwischen Ringier und dem Schweizerischen Fussballverband dabei, obwohl Sie erst 2021 Ihre Arbeit antreten. Wird es auch unter Ihnen Kampagnen geben?

Kampagnen gab es, gibt es, wird es immer geben. Sie gehören zum Boulevard. Und es wird auch bestimmt mit mir als Sportchefin irgendwann einmal eine Kampagne geben. Stets wohl überlegt und in der Redaktion breit abgestützt. Wir müssen uns der Verantwortung als Medium jederzeit bewusst sein. Hetzjagden und die Forderung nach Köpferollen, das ist nicht mein Stil.


Und welche Ziele haben Sie sich als erste «Blick»-Sportchefin der Geschichte angesichts der gewaltigen digitalen Transformation gesetzt?

Der Umbruch beim «Blick» ist schon lange eingeleitet worden. Ich finde es sehr aufregend, bei dieser Entwicklung in leitender Rolle dabei sein zu dürfen. Der Weg muss organisch sein. Mit dem neuen Vektor «BlickTV» hat «Blick» den letzten Schritt hin zum Multimedia-Haus gemacht. Das ist für kreative Journalisten eine tolle Ausgangslage. Ich werde aber heute ganz sicher nicht irgendwelche Pläne rumposaunen, bevor ich meine Stelle überhaupt angetreten habe.


Wie genau wollen Sie den Frauensport, der sehr stiefmütterlich behandelt wird in vielen Medien, stärker positionieren?

Es muss gelingen, den Teufelskreis zu durchbrechen. Sport ist Inszenierung. Bei den Männern ist seit jeher viel mehr Geld im Spiel, es hat mehr Zuschauer, das Interesse der Medien ist deshalb ungleich grösser. Man kann im Moment keine Marketingabteilung der Welt dazu zwingen, gleich viel Geld in den Frauensport zu stecken. Es gibt Messgrössen, die zeigen, dass Männersport deutlich mehr interessiert. Alle involvierten Parteien können und müssen aber den Frauensport unterstützen, die Verbände, die Medien, die Sponsoren, indem sie bereit sind, ihm mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Es ist beispielsweise höchste Zeit, gibt es in der Schweiz ein Frauensportmagazin. Es freut mich, dass das Thema viel Momentum hat. Aber um den Frauensport nachhaltig zu fördern, braucht es Geduld.


Ohne zu schummeln: Wie viel Prozent Ihres Sportkonsums widmen Sie den Frauen?

Das ist brutal: Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, es seien mehr als 10 Prozent.


Wie kann man das Interesse am Frauensport steigern?

Es benötigt in allen Bereichen stärkeren Support. Figuren müssen feiner ausgearbeitet und dann auch vermarktet werden. Da tun sich Frauen oft schwer. Und es dürfen nicht einfach Events der Männer kopiert werden, es braucht Eigenständigkeit. Es war immer eine besonders traurige Veranstaltung, wenn früher im Fussball der Frauen-Cupfinal direkt vor dem Männer-Cupfinal ausgetragen wurde, und das vor fast leeren Rängen. Frauensport ist gut und attraktiv genug, um selber Akzente zu setzen. Wie bei den letzten Frauenfussball-Weltmeisterschaften, das waren fantastische Feste. Es benötigt Mut, Figuren und eine klare Positionierung, damit eine starke Marke entstehen kann. Wie die junge Schweizer Fussballerin Alisha Lehmann, die weit über eine Million Follower auf Instagram hat.


Gerade im Fussball heisst es oft, die Frauen seien lesbisch, dabei darf doch die sexuelle Orientierung 2020 keine Rolle mehr spielen.

Wenn ich das höre, wird mir schlecht. Was soll so eine Aussage? Und selbst wenn… Das sind primär tolle Sportlerinnen. Die sexuellen Vorlieben von männlichen Fussballern interessieren mich genauso wenig wie die von Fussballerinnen.


Am Ende sei eine Frage erlaubt, die sich vielleicht auch als Einstieg geeignet hätte: Wo stehen Sie mit 50 Jahren?

Das dauert ja gar nicht mehr so lange. Dann bin ich hoffentlich Sportchefin der besten und coolsten Redaktion der Schweiz.


Beim «Blick»?

(lacht) Natürlich. Ich war 13 Jahre beim Schweizer Fernsehen, 4 Jahre bei MySports, dann darf jetzt ruhig wieder eine längere Anstellung kommen. Obschon es ja früher immer hiess, der Posten des «Blick»-Sportchefs sei eine Schleuderposition. Es ist ein Ansporn, den Rekord meines Vorgängers Felix Bingesser, der zehn Jahre im Amt blieb, zu brechen. Aber ich freue mich jetzt einfach mal auf meinen Start im Januar, das wird Rock ‘n’ Roll.

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