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«Niemand will ein Macho sein, niemand ein Frauenversteher»

Der Fussball-Nationaltrainer der Männer und Frauensport – passt das? Und wie! Murat Yakin spricht im ausführlichen und persönlichen Interview nicht nur darüber, welche Sportlerinnen er verfolgt, was er von Frauenfussball hält und wann eine Frau ein Männerteam in der obersten Liga trainieren könnte. Er nimmt auch Stellung zu seinen Frauen: zur Mutter, die ihn stark geprägt hat, zu seiner Frau und seinen beiden Töchtern. Yakin gibt Einblicke in sein Denken über schwule Fussballer, die Fussball- WM in Katar und seinen faszinierenden Aufstieg im letzten Jahr bis zum Heiligenstatus in der Schweiz. Und er verrät, wie er als Fussballer beinahe bei Real Madrid gelandet wäre.


Fabian Ruch im Gespräch mit Murat Yakin



Murat Yakin, was verbinden Sie mit Frauensport?

Ich mache keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Sport bedeutet Freude, Spass, Bewegung. Und wenn Ambitionen vorhanden sind, ist das umso besser, ich bin ein Wettkampftyp. In unseren Kinderzimmern hingen Bilder der Tennisspielerinnen Gabriela Sabatini und Anna Kournikova.


Wie war das bei Ihnen?

(schmunzelt) Das ist lange her, aber Tennis war ein Sport, den ich auch bei den Frauen immer verfolgte. Gabriela Sabatini begeisterte mich natürlich auch, es gab Steffi Graf, später Martina Hingis, die ich persönlich kennen lernte. Und ich war als Bub auch ein Skifan, da kommen mir spontan die Namen Erika Hess, Maria Walliser, Vreni Schneider in den Sinn. Fussball war damals bei den Frauen noch nicht so populär wie heute.


Insgesamt findet Frauensport oft immer noch in der Nische statt, selbst Frauen geben zu, am TV mehr Männerevents zu verfolgen. Wie ist das bei Ihnen?

Berufsbedingt schaue ich als Trainer sehr viele Fussballspiele der Männer. Aber als Nationaltrainer interessiert mich auch, wie es unserer Frauenauswahl geht. Im letzten Herbst zappte ich hin und her, zwischen einem Champions-League-Spiel in Liverpool und einem Länderspiel der Frauen, ich wollte beide Spiele live verfolgen. Mich stört es aber, wenn man Vergleiche anstellt, weil das ungerecht ist.


Es ist menschlich, Dinge zu vergleichen.

Klar. Aber es ist allen klar, dass Frauen von der Physiognomie her weniger Kraft haben als Männer, dass sie nicht so schnell sind, dass die Dynamik anders ist, die Schüsse nicht so hart sind, die Eckbälle weniger präzis. Das spielt doch überhaupt keine Rolle. Mir fiel an den Schweizer Länderspielen zum Beispiel Captain Lia Wälti positiv auf. Sie spielt bei Arsenal, sowieso sind ja viele Schweizerinnen wie bei den Männern in Topligen. Und was Lia Wälti auf dem Rasen zeigt, ist phasenweise perfekt.


Wie meinen Sie das?

Es ist grossartig, wie sie sich bewegt, wie sie strategisch und schlau spielt. Technisch und taktisch ist das herausragend. Frauenfussball ist bei uns in der Schweiz nicht so beliebt wie etwa in den USA. Doch die Fortschritte sind erkennbar, Erfolge stellen sich ein. Und es gibt auch bei den Frauen interessante Geschichten.


Woran denken Sie dabei?

Kürzlich sah ich auf einem Flug nach Dubai eine Dokumentation über die Trainerin Jill Ellis, die mit den USA zweimal den WMTitel gewonnen hat. Es ist sehr eindrücklich, wie sie arbeitet, was sie denkt, wie sie sich von Rückschlägen nicht aufhalten liess.


Welche Sportlerinnen verfolgten Sie allgemein besonders eng?

Wie gesagt, ich kenne Martina Hingis relativ gut, habe auch Spiele in Wimbledon von ihr gesehen. Und ich traf mehrmals Geraldine Dondit, eine andere ehemalige Tennisspielerin, weil wir unsere Reha am gleichen Ort absolvierten. Ich mag Tennis sehr.


Sind Sie ein guter Tennisspieler?

Ja, ich denke schon, Ballgefühl habe ich ein wenig. Eine Lizenz habe ich allerdings nicht, doch ich kann einen Spieler

mit Klassierung R3 oder R4 schon stressen. Ein Kollege war mal N2 klassiert, und wenn er gerade keinen Trainingspartner hatte, schlug ich Bälle mit ihm. Mein Bruder Hakan und ich standen früher oft auf dem Tennisplatz. Heute spiele ich mehr Golf, das ist weniger anstrengend (lacht). Aber Tennis und auch Skifahren waren immer wichtig in meinem Leben.


Warum Skifahren?

Okay, ich habe türkische Wurzeln, dort ist Ski nicht sehr populär. Und wir wuchsen zwar in Basel auf, waren aber oft

im Wallis, weil dort unser Vater lebte. Deshalb waren wir regelmässig in Skigebieten unterwegs, das hat Spass gemacht. deshalb kann ich die Leistungen der Skifahrerinnen einschätzen und bin beeindruckt. Manchmal vergisst man in der Schweiz, was wir für tolle Athletinnen und Athleten hatten und immer noch haben. Ich denke nicht nur an die Superstars Martina Hingis und Roger Federer.


In der Schweiz werden Sportlerinnen und Sportler nicht so angehimmelt wie in anderen Ländern, der Patriotismus ist weniger ausgeprägt…

… und das ist gar nicht so schlecht, man kann sich frei bewegen. Darum leben ja auch so viele Popstars und andere

Prominente in der Schweiz. Profisport wurde bei uns halt lange Zeit nicht richtig ernstgenommen. Ich spielte und lebte auch in der Türkei, dort ist der Fanatismus enorm, man lebt als Fussballer in einem goldenen Käfig. Das ist auch nicht immer angenehm. Und am Ende sind es ohnehin die Medien, die eine Stimmung vorgeben, die pushen oder provozieren. Das fiel mir an der Fussball-EM im letzten Sommer wieder auf.


Alles im Griff: Murat Yakin überzeugt als Nationaltrainer.



Als die Schweiz nach einem schwachen Start auf einmal zum Steigerungslauf ansetzte.

Nach dem Unentschieden gegen Wales und der 0:3-Niederlage gegen Italien wurde die Mannschaft von den Zeitungen hart kritisiert, meiner Meinung nach viel zu früh. Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist. Ich bin seit rund dreissig Jahren im Business dabei und weiss, wie der Mechanismus läuft. Medien begleiten mich, seit ich 15, 16 Jahre alt bin. Manchmal ist es für Journalisten aber unmöglich, sich vorzustellen, was Sportlerinnen und Sportler erleben. Ich sah eine Dokumentation über die Triathletin Nicola Spirig, die so viel gewonnen hat, auch als Mutter mit mehreren Kindern noch. Wie soll sie solche Erlebnisse mit Journalisten teilen können? Was sie geleistet hat, kann niemand nachvollziehen, der nicht selber in einer ähnlichen Situation war. Und die Medien erklären dann etwas, was sie nie erlebt haben. Da wünschte ich mir nach Niederlagen oder Rückschlägen teilweise ein bisschen mehr Zurückhaltung.


Frauen begegnen auch im Sport oft immer noch Vorurteilen. Sie haben Erfahrung damit, weil Sie als Türke in der Schweiz aufwuchsen. Und weil man Ihnen als Fussballer trotz grosser Karriere nachsagte, nicht genügend aus Ihrem riesigen Talent herausgeholt zu haben und zuweilen eher faul gewesen zu sein. Sie hätten das Potenzial gehabt für einen Transfer zu Real Madrid oder Barcelona. Was geben Sie jungen Sportlerinnen und Sportlern für Ratschläge, um mit Vorurteilen und Kritik umgehen zu können?

Oh, darüber könnte ich ein Buch schreiben. Bei mir spielte die Herkunft sicher eine wichtige Rolle. Ich habe Wurzeln im Balkan, da ist man stolz und reagiert auch mal eingeschnappt. Kritik gehört dazu, solche Erfahrungen muss man machen und damit umgehen können. Das härtet einen auch ab. Früher trafen mich negative Berichte viel stärker, aber ich kann Artikel auch nach dreissig Jahren problemlos noch sehr persönlich nehmen (schmunzelt). Wenn man jung ist, sollte man sich mit guten Leuten umgeben, die einem helfen können, wenn es notwendig ist.


Wie war das bei Ihnen?

Bei Kritik ist auch immer Wahrheit dabei. Ich stand mir sicher teilweise selber im Weg, lebte nicht immer professionell, ass zu viele Süssigkeiten, solche Sachen halt. Wir hatten damals noch nicht Berater wie heute, die jeden Schritt überwachen und jeden Post auf Social Media kontrollieren. Diese Hilfestellung kann gerade für junge Sportlerinnen und Sportler sehr wertvoll sein, weil heute jeder Pups sofort um die Welt geht, den man irgendwo postet.


Und jetzt ehrlich: Bereuen Sie es, als Fussballer nicht alles aus Ihrem Talent herausgeholt zu haben?

Schauen Sie: Es ist so viel passiert in meinem Leben, damit habe ich meinen Frieden geschlossen. Es kommt, wie es

kommt. Nun bin ich Nationaltrainer, und wenn Sie mir das vor einem Jahr prophezeit hätten, wären Sie von mir ausgelacht worden. Direkt von der Challenge League und dem FC Schaffhausen zur Schweizer Auswahl, wer hätte das geglaubt? Vieles in meinem Leben passierte einfach. Das ist keine konkrete Antwort. Einverstanden. Es ist eine Erklärung, wie ich funktioniere. Ich akzeptiere Dinge, wie sie sind. Und ich habe ein Grundvertrauen, dass sich alles schon so entwickelt, wie es für mich stimmt. Ich erzähle Ihnen eine Geschichte, weil Sie vorhin Real Madrid erwähnten.


Gerne.

Als ich 1999 bei Fenerbahçe Istanbul spielte, wechselte der Trainer John Toshack von Besiktas Istanbul zu Real Madrid. Er hielt sehr viel von mir und wollte mich unbedingt zu Real holen. Elvir Baljic wechselte gleichzeitig für über zwanzig Millionen Franken von Fenerbahçe zu Real Madrid, das war damals eine sehr hohe Ablösesumme. Toshack sah mich als Sechser fürs zentrale Mittelfeld, aber es war für ihn politisch nicht möglich, zwei Spieler vom gleichen Klub aus der Türkei für viel Geld zu verpflichten. Sehen Sie, ich wäre also beinahe bei Real Madrid gelandet.


Wie ging die Geschichte aus?

Fenerbahçe verlangte 16 Millionen Franken für mich. Real holte dann Nijtap Geremi von Gençlerbirliği aus der Türkei,

er kostete etwa fünf Millionen. Das war bitter für mich, weil ich es mir zugetraut hätte, bei Real Madrid eine gute Rolle zu spielen. Toshack war nicht lange bei Real, ich wechselte ein Jahr später zum FC Basel. Diese Geschichte zeigt, dass man im Sport manchmal auch Glück haben muss, Zufälle können entscheidend sein. Ich bin zufrieden, was ich erreicht habe. Als ich bei Stuttgart war, wollte mich Trainer Christian Gross zu Tottenham holen, auch das klappte nicht, weil ich mich anders entschied. Ich trage die Verantwortung für mein Leben und bin damit gut gefahren bis jetzt.


Sprechen wir über Frauen. Wer oder was hat Ihr Frauenbild am meisten geprägt?

(überlegt sehr lange) Ausser meiner Mutter? Nein, dann ist es Ihre Mutter. Klar, klar, bis heute. Ich bin ein riesengrosser Familienmensch. Unsere Mutter hat acht Kinder grossgezogen, sie sprach kein Wort Deutsch, als sie nach Basel kam. Und das mit vielen Rebellen als Kinder, wir waren sieben Jungs und ein Mädchen, was muss das für ein Stress für sie gewesen sein! Hakan und ich waren die Kinder, die sie mit ihrem zweiten Ehemann hatte. Sie war und ist eine toughe Frau. In Erinnerung ist vielen Leuten, wie Ihre Mutter jeweils mit dem Dreirad zum Training des FC Basel fuhr.


Wie geht es ihr heute?

Sehr gut, sie ist 88, immer noch selbständig unterwegs, war letztes Jahr auch an unseren Länderspielen in Rom und in Luzern. Sie sagten, Ihre Mutter sei tough.



Das vielleicht berühmteste Dreirad der Schweiz: Emine Yakin, die Mutter von Murat Yakin, besucht 2005 ein Training des FC Basel.



Können Sie das beschreiben?

Sie kann nichts erschüttern, in der Türkei hatte sie noch den zweiten Weltkrieg erlebt. 1970 flüchtete sie in der grossen Krise in der Türkei in die Schweiz und musste ihre sechs Kinder zuerst zurücklassen, um sich hier ein besseres Leben aufzubauen. Sie selber spricht nie viel über die Zeit in der Türkei, aber mein ältester Bruder kann sich noch gut erinnern, er war damals ein Teenager, als die sechs Kinder dort blieben. Zwei Jahre sah meine Mutter ihre Kinder nicht, ihr Mann starb, sie lernte meinen Vater kennen, der die Flugtickets der Kinder bezahlte, damit alle in die Schweiz kommen konnten.


Wo lebten die sechs Kinder in der Türkei ohne die Mutter?

Das Haus meiner Mutter steht heute noch, das läuft in der Türkei sowieso alles ein bisschen anders. Es gab Bekannte

und Nachbarn, die den Kindern halfen, und der älteste Bruder war mit 16, 17 Jahren bereit, für Ordnung zu sorgen, so

gut das eben ging.


Wie war Ihre Mutter, als Sie ein Bub waren?

Sie schenkte uns viel Liebe, war aber auch sehr streng. So wie eine Mutter in der türkischen Kultur eben ist. So

entstand ja auch diese interessante Mischung aus Disziplin und Lockerheit, schliesslich hatten Hakan und ich in

Basel als Buben viel Seich im Kopf. Wir wuchsen nicht im Luxus auf, anderen hatte teurere Spielzeuge und schönere

Kleider, aber das hat uns nie gestört. Unsere Mutter hat alles für uns gemacht, begleitete uns an jedes Training, an

jedes Spiel. Sie ist eine sehr hartnäckige Frau, wenn es sein muss. Eine kurze Zeit lebten alle acht Kinder in der gleichen Wohnung, das war schon ein wenig eng. Und ganz ehrlich, ein bisschen froh bin ich schon, wurde ich in der

Schweiz geboren.


Warum?

Meine Mutter suchte für jeden Sohn, der in der Türkei geboren wurde, eine Schwiegertochter, so lief das damals.

Hakan und ich wuchsen freier auf in der Schweiz. Dank unserer Mutter, sie arbeitete immer enorm hart. Das ist auch

eine Erinnerung, die mich geprägt hat.


Es heisst, Sie hätten zum Beispiel früh Elternabende von Hakan besucht.

Ich hatte ja keine andere Wahl, die anderen Geschwister waren ausgeflogen oder sprachen nicht Deutsch, meine Mutter auch nicht. Ich war drei Jahre älter als Hakan, also kümmerte ich mich um ihn. Später schlug ich mich mit 13, 14 Jahren mit Mietverträgen herum, mit den Behörden, dem Schulsystem. So lernte ich früh, Verantwortung zu übernehmen. Sie sagten, Ihr Frauenbild sei stark durch Ihre Mutter geprägt. In der Schweiz und in der Türkei

werden Frauen nicht gleich betrachtet. Nein, nein, überhaupt nicht, das stimmt. Warum erwähnen

Sie das?


Welche Auswirkungen hatte das auf Sie, zumal in der Türkei Frauenrechte nicht gleich stark vorhanden

sind wie in der Schweiz?

Der Unterschied ist gewaltig, klar, früher hatte eine Frau in der Türkei nicht viel zu melden. Es ist das klassische konservative Bild: zu Hause sein, Stube sauber halten, kochen, kaum Zeit für sich. Ich habe in der Schweiz zum Glück ein anderes, fortschrittlicheres Frauenbild entwickelt. Und ich sehe es sowieso so, dass jeder Mensch gleich ist, da darf es keine Unterschiede geben.


Machte Ihre Mutter auch Sport?

Ja, offenbar war sie früher relativ aktiv, aber ich habe nie Bilder gesehen. Sie war schon 44, als Hakan zur Welt kam.


Sind Sie eigentlich ein Macho oder ein Frauenversteher?

Das ist eine fiese Frage. Niemand will ein Macho sein, niemand ein Frauenversteher. Dann müssen wir vielleicht Ihre Frau fragen. Niemals, nein, ihre Antwort würde nicht der Realität entsprechen (lacht). Sagen wir es so: Da ich zu Hause nicht nur eine Frau, sondern auch zwei Töchter habe, ist mein Leben sehr stark durch weibliche Einflüsse geprägt. Mit meiner Frau bin ich seit 20 Jahren zusammen. Unter uns kann ich ja sagen, dass es nicht immer einfach ist, in einem Haushalt mit drei Frauen klarzukommen.


Erzählen Sie.

Ich bin ein Mann, ich bin Sportler, ich bin sehr direkt. In der Türkei wird härter kommuniziert, aber das muss nicht

einmal hart gemeint sein, man ist einfach klar in seinen Aussagen. Hier in der Schweiz holt man eher einmal aus,

versucht etwas umständlich zu erklären. Damit hatte ich manchmal Mühe, auf dem Fussballplatz geht es auch schnell

und einfach zu und her. Mit drei Frauen im gleichen Haus habe ich lernen müssen, mich zurückzuhalten. Meine Frauen mögen es, wenn man schöne Worte wählt.


Hört sich an, als sei der Macho Murat Yakin mit den Jahren zum Frauenversteher geworden.

Ich habe meine Erfahrungen gemacht, ja. Und das hat mir auf keinen Fall geschadet.


Wie wichtig ist der Sport im Haushalt Yakin?

Meine Frau war früher Yoga-Lehrerin, aber seit zehn Jahren und mit den Mädchen treibt sie weniger Sport. Sie ist ganz generell nicht so sportbegeistert wie ich, aber das ist überhaupt kein Problem. Wir verbringen viel Zeit zusammen, da stört es mich nicht, wenn sie beispielsweise nicht golft oder so.


Was für ein Handicap haben Sie im Golf?

11,2. Ich liebe Golf, man ist mit Freunden draussen, auf schönen Plätzen, es ist ein sehr herausfordernder Sport, man

kann nichts erzwingen. Es zwingt einen, demütig zu sein. Absolut, so ist es. Und es gibt so viele schöne Golfplätze auf

der ganzen Welt, nicht nur in der Schweiz. Auch in Mallorca, Gran Canaria, Marbella und anderswo habe ich tolle Kurse gespielt, man entdeckt als Golfer die Welt.


Welche Sportarten betreiben Ihre Kinder?

Die ältere Tochter ist neun, sie liebt Bücher und ist enorm kreativ. Die kleinere ist sieben und sehr sportlich, sie hat

einen ausgeprägten Bewegungsdrang, hat Kraft, ist koordinativ begabt, das ist beeindruckend. Wenn immer es

möglich ist, nehme ich mir am Mittwochnachmittag Zeit, um verschiedene Sportarten mit ihr auszuprobieren, auch

Golf, Schwimmen, Teamsportarten. Sport ist die beste Lebensschule, und in einem Team entwickelt man wichtige Fähigkeiten für die persönliche und soziale Entwicklung. Im Idealfall hat man Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Kulturen, das prägt einen stark. Darum ist Fussball auch so ein toller Sport.


Können Sie sich vorstellen, dass Ihre Mädchen später Fussball spielen?

Bis jetzt glaube ich eher nicht, dass sie das wollen. Unsere jüngere Tochter wäre aber prädestiniert als Fussballerin, sie ist beweglich und schnell und hat Ballgefühl. Sie war schon als Baby enorm weit, lag sofort auf dem Bauch, hat früh den Kopf gedreht. Mit neun Monaten lief sie einfach los, krabbelte auf einmal aufs Sofa und sprang herunter, ich traute meinen Augen nicht. Was ich spannend finde, ist, wie sehr sich unsere Mädchen unterschieden: Die ältere ist der Kopfmensch, die jüngere ständig unterwegs.


Bruderliebe: Murat Yakin mit der Captainbinde beim FC Basel zusammen mit Hakan Yakin.



Früher galt Frauenfussball auch als Lesbensport.

Das kann sein. Aber die sexuelle Orientierung eines Menschen interessiert mich absolut nicht, ich habe viele homosexuellem Freunde und Bekannte. Was ich mich manchmal frage: Warum muss man ein Outing so zelebrieren, wie es einige tun?


Es gab einen Super-League-Fussballer, der schwul war, sich aber nicht outen wollte, weil er die Reaktionen fürchtete. Noch immer gibt es kaum einen aktiven Spieler, der sich geoutet hat. Wäre die Gesellschaft heute so weit, einen schwulen Profifussballer zu akzeptieren?

Ich weiss ehrlich gesagt nicht, was passieren würde, wenn sich ein Fussballer outen würde. Die Gefahr besteht, dass

man ihn nach einem Outing in der öffentlichen Darstellung zu sehr auf seine sexuelle Orientierung beschränkt. Das

will kein Fussballer und sicherlich auch sonst niemand. Zu meiner aktiven Zeit wäre das nicht möglich gewesen, es

herrschten klare Richtlinien im Team. Es wäre vermutlich sehr schwierig für diese Person, weil der öffentliche Druck

enorm wäre. Es bräuchte eine sehr starke Persönlichkeit, um damit umzugehen.


Kennen Sie schwule Fussballer?

Nein, nicht aktive, zumindest ist nie einer dazu gestanden, schwul zu sein. Einige outeten sich später, wie der Deutsche Thomas Hitzlsperger. Klar gab es Gerüchte, aber das interessierte mich sowieso nie. Und wie es bei den Frauen genau ist, kann ich zu wenig beurteilen, dort scheint es absolut kein Problem zu sein, wenn es lesbische Spielerinnen in einem Team hat.


Was fällt Ihnen als Erstes auf, wenn Sie ein Frauenfussballspiel schauen?

Ich achte als Trainer immer auf Taktik und Technik. Eine schnelle Spielerin ist noch stärker im Vorteil als bei den

Männern, das Leistungsgefälle in einem Team ist wohl ein bisschen ausgeprägter. Wie wir vorher schon besprochen

haben, muss man ausblenden, dass es genetisch bedingt Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt.


Beat Feuz und Lara Gut werden auf der Skipiste auch nicht verglichen.

Genau. Eine Frau als Goalie ist im Durchschnitt kleiner und vermutlich weniger sprungkräftig, aber weil Frauen gegeneinander spielen, ist dieser Unterschied unbedeutend. Ich finde, der Frauenfussball hat enorme Fortschritte realisiert, in allen Bereichen. Und soweit ich es beurteilen kann, wird das so weitergehen, weil ein Boom entstanden ist. Und weil es Steigerungspotenzial gibt.


Frauen haben bezüglich Gleichberechtigung einen langen Kampf hinter sich. Equal Pay, also gleicher Lohn, ist ein Thema, das auch im Sport immer stärker diskutiert wird. Was halten Sie davon?

Es ist ein kompliziertes Thema im Fussball. Ich denke, dass es am Ende schon darauf ankommt, wie viel Geld

im Spiel ist, das ist eine marktwirtschaftliche Angelegen- heit. Wenn ein Verein Neymar 40 Millionen Franken im

Jahr bezahlen kann, weil er das will, dann ist das so. Es ist im Moment noch unrealistisch, für Fussballerinnen die

gleichen Löhne wie bei den Männern zu fordern. Im Fussball ist es der Markt, der über die Bezahlung entscheidet,

die TV-Rechte, die Sponsoren, die Merchandising-Einnahmen. Die sind auch nicht in allen Ligen und Ländern

gleich hoch. So verdienen auch nicht alle Männer gleich viel, die Fussball spielen. Die Stadien bei den Männern

sind in den Topligen voll, da wird so viel Geld umgesetzt. Wäre das bei den Frauen auch so, würden davon garantiert

auch die Spielerinnen profitieren. Aber das kann man nicht erzwingen. Und ich bin überzeugt, dass die Richtung

stimmt, es werden mehr Spiele am TV übertragen, das Interesse steigt, das Nationalteam ist erfolgreich, die Frauen

werden stärker beachtet.


Was trauen Sie der Frauenauswahl denn an der EM im Sommer zu?

Das ist schwierig zu beurteilen. Ich war im letzten Herbst an einem Länderspiel im Letzigrund, da sprach ich auch

mit dem Nationaltrainer Nils Nielsen, das war spannend. Er sagte mir, dass die Schweiz näher an die weltbesten Nationen gerückt ist. Was an einem grossen Turnier möglich ist, hängt immer auch von der Tagesform ab. Das ist bei den Männern nicht anders, es gibt so viele enge Spiele.


Die Männer werden aber im Dezember in Katar eher Weltmeister als die Frauen im Sommer in England Europameisterinnen, oder?

(schmunzelt) Das ist eine Fangfrage. Beides ist aktuell eher unrealistisch. Aber wenn wir an der WM nicht hohe Ziele

hätten, müssten wir gar nicht erst antreten. Letztes Jahr hätte die Schweiz sogar noch weiter als in den EM-Viertelfinal kommen können, das Ausscheiden im Elfmeterschiessen gegen Spanien war bitter und unglücklich. Das hat gezeigt, wie stark die Auswahl ist.


Könnten Sie sich eigentlich vorstellen, ein Frauenteam zu trainieren?

Ich habe zu Hause schon genug zu tun mit Frauen (lacht wieder). Ernsthaft: Ich würde das nicht ausschliessen, selbst

wenn es schwierig vorstellbar ist für mich. Es wäre eine wertvolle Erfahrung. Und letztlich geht es um Sport, um Menschen, um den Wettkampf und darum, etwas bewegen zu können. Mir hat es auch beim FC Schaffhausen gefallen wie davor etwa beim FC Basel oder aktuell im Nationalteam.


Ist es umgekehrt realistisch, dass irgendwann eine Frau in der obersten Männerliga ein Team trainieren wird?

Das dauert vermutlich noch einen Moment. Aber die Schiedsrichterinnen haben es vorgemacht. Managerinnen

und Präsidentinnen von Vereinen gibt es ebenfalls.


Vielleicht wird die Fussballwelt in ein, zwei Generationen bereit für schwule Fussballer und Trainerinnen in Männer-Topligen sein.

Vielleicht. Ich lasse mich gerne überraschen. Die Männer-Fussballwelt ist relativ direkt und rau, mit unausgesprochenen Codes unter jungen Männern, mit einer Kultur auch in der Kabine, in die eine Frau vielleicht nicht passt oder auch nicht

passen will.


Da wäre es interessant, von Ihnen zu erfahren, ob Sie eigentlich wie der frühere deutsche Trainer Otto Rehhagel der Meinung sind, dass verheiratete Fussballer besser für ein Team sind als Singles, die sich die Nächte um die Ohren schlagen.

Ich hatte Otto als Trainer bei Kaiserslautern.


Damals waren Sie nicht verheiratet.

Nein. Und mir ist das egal, ob einer Familie hat oder keine Freundin. Ich wurde auch erst mit 38 Vater, da war ich schon Trainer.


Frauen können einen beruhigenden Einfluss auf Fussballer haben. Einer wie Neymar turnt gerne und lange im Ausgang herum.

Aber wegen Neymar gehen wir alle gerne in Stadion.


Das stimmt.

Sehen Sie. Man kann das nicht pauschal sehen. Für mich ist Sport allgemein und vor allem Fussball auch Unterhaltung. Vor einigen Monaten sahen wir im Nationalteam alle zusammen ein WM-Qualifikationsspiel zwischen Spanien und Schweden am TV. Mir taten die schwedischen Fans leid, weil ihre Mannschaft gar nicht Fussball spielen wollte. Die Schweden verteidigten nur, gaben den Ball sofort wieder ab, das macht doch keinen Spass, das ist nicht ästhetisch. Ich verlange Mut, Optimismus, Frechheit von den Spielern. Mit dieser destruktiven, realistischen Spielweise kamen die Schweden an der letzten WM 2018 aber in den Viertelfinal, übrigens nach einem Sieg gegen die Schweiz im Achtelfinal. Damit kann ich mich trotzdem überhaupt nicht identifizieren. Es geht darum, einen eigenen Plan zu entwickeln, für Unterhaltung zu sorgen, Tore erzielen zu wollen. Fussball ist auch Show.


Sie sind seit letztem Sommer Schweizer Nationaltrainer und haben in den ersten Monaten grossen Erfolg gehabt.

Man hätte fast den Eindruck erhalten können, Sie seien ein Nationalheld. Sie gaben sich betont locker und entspannt, der Kontrast zu Ihrem Vorgänger Vladimir Petkovic ist augenfällig. Schmunzeln Sie manchmal im privaten Rahmen darüber, wie sehr Sie gehypt werden?

Ich bin seit drei Jahrzehnten im Fussball dabei. Entscheidend sind am Ende immer die Resultate, da können Sie noch so locker sein. Und ich kenne auch die andere Seite bestens, leider, ich wurde oft hat kritisiert. Darum kann ich das alles ganz gut einordnen. Mich freut es, wie schnell die Mannschaft unsere Ideen umgesetzt hat. Wir hatten auch Glück, Italien verschoss gegen uns in der WM-Qualifikation zwei Elfmeter, sonst wären wir nicht direkt für die Weltmeisterschaft qualifiziert gewesen. Wie gesagt: Es ist eng im Fussball. Darum geniesse ich den Moment, aber es geht weiter. Und ich wäre heute nicht unglücklicher, wenn ich immer noch den FC Schaffhausen trainieren würde. Es wäre einfach viel ruhiger um mich, ich würde auch Ihnen nicht ein Interview geben über diese Themen, die wir gerade besprechen.


Die zwei höchsten Fussballtrainer der Schweiz: Frauen-Nationaltrainer Nils Nielsen (links) und Murat Yakin.



Müssen Sie manchmal in der Öffentlichkeit eine Rolle spielen? Oder sind Sie wirklich so entspannt?

Was heisst schon entspannt? Bisher lief es mit dem Nationalteam gut, es gab keinen Grund, unentspannt zu sein. Doch ich erlebte in meiner Karriere einige schwierige Phasen. Wenn ich damals gelesen habe, was geschrieben wurde, als ich bei GC oder beim FC Sion Trainer war, erhielt ich nicht unbedingt den Eindruck, besonders entspannt und erfolgreich zu sein. So läuft das Geschäft. Ich konzentriere mich auf meine Aufgaben, bin für die Spieler da, unterstütze sie, wenn sie das wollen, rede viel mit ihnen und besuche sie auch bei ihren Vereinen im Ausland. Mein Vorteil ist, dass ich nicht das Gefühl habe, noch etwas beweisen zu müssen.


Und Sie sind finanziell unabhängig.

Das sagen Sie! Nein, es geht zum Beispiel auch darum, dass die Nationalspieler hoffentlich wissen, dass ich auch einmal in der gleichen Situation wie sie war. Da gibt es so viele Einflüsse, die Medien, ein Wechsel ins Ausland, Verletzungen, Probleme mit dem Klubtrainer, private Angelegenheiten. Darum sagte ich vorher, dass es für Journalisten schwierig ist, sich in solche Situationen reinzudenken, weil sie das nie erlebt haben.


Die WM 2022 in Katar ist politisch sehr umstritten. Wie bereiten Sie sich und die Spieler auf kritische Fragen etwa

nach den Menschenrechten in Katar vor und auf eine Weltmeisterschaft im Winter?

Wir sind ein Nationalteam, das gegen andere Nationen Fussball spielt mit dem Ziel, für unser Land zu gewinnen. Wir

haben uns das WM-Austragungsland nicht ausgesucht. Und wissen Sie was? Die Unterschiede für uns sind nicht gross. Wir fliegen in ein fremdes Land, wir trainieren, wir sind im Hotel, wir spielen, trainieren, spielen. Und das alles immer in einer Art Bubble, das war auch vor Corona an grossen Turnieren schon so. In Katar werden die Wege zudem kurz sein, es wird keine langen Flüge geben, das ist für mich als Trainer ein Vorteil bezüglich Trainingsgestaltung. Die Rumreiserei im letzten Sommer an der EM, erst noch während der Pandemie, empfand ich als grossen Witz.


Sie und die Spieler werden kaum darum herumkommen, irgendwann öffentlich Stellung zu beziehen zum Austragungsland Katar.

Warum denn nicht? Wir sind Sportler, nicht Politiker. Wenn wir es für richtig halten, etwas zu sagen, werden wir das tun. Aber die WM ist noch weit entfernt, bis dahin haben wir noch einige Länderspiele. Und wir haben dieses Thema im SFV besprochen und dabei klar geregelt, dass der Verband die politische Rolle einnimmt, sich mit den Besonderheiten dieses Turniers beschäftigt und sich proaktiv in die Debatte um die Menschenrechte einbringt. Die Spieler und auch ich werden informiert und in interne Diskussionen miteinbezogen, aber wir sind als Mannschaft letztlich für das Sportliche zuständig.


Es gibt Leute, die behaupten, das Amt des Nationaltrainers entspreche dem Genussmenschen Murat Yakin sehr, weil er nicht jeden Tag auf dem Trainingsplatz stehen müsse.

Das hört sich so an, als ob ich nicht gerne arbeiten würde. Diese Leute können mich nicht näher kennen (lacht). Ich

kannte es vorher nicht, Nationaltrainer zu sein, und ich hatte mir nicht vorstellen können, so wenig Zeit mit der Mannschaft zu haben, um beispielsweise taktische Sachen einzustudieren. Ich bin ein Trainer, der viel Wert auf Systematik auf dem Rasen legt. Und es gibt zwar weniger Spiele und Trainings, aber der Aufwand für mich ist nicht geringer, es gibt auch zwischen den Begegnungen viel zu erledigen, zu besprechen und zu analysieren. Dazu kommen sehr viele repräsentative Pflichten. Zudem ist der Druck grösser, weil man weniger Möglichkeiten hat, Niederlagen zu korrigieren. 2021 war ein guter Start für mich als Nationaltrainer, aber es geht im Fussball immer weiter. Fragen Sie mich deshalb Ende Jahr, ob mir das Amt des Nationaltrainers mehr entspreche. Darüber werden auch die Ergebnisse entscheiden. So ist das im Fussball.


Fabian Ruch hat als Fussball-Journalist bei der NZZ beruflich regelmässig mit Murat Yakin zu tun. Er schätzte die lockere Ambiance während des Gesprächs in der Yakin- Arena sehr. Der Nationaltrainer betätigte sich dabei auch als Barista – und hat an der Kaffeemaschine eine eigene, starke Espressodosierung für sich selber fix eingestellt.





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